Werbung für die ‚Ruderei‘ im Berliner Lokal-Anzeiger von 1901

Um Mitglieder für den Märkischen Ruderverein zu gewinnen, veröffentlichte Richard Nordhausen im Sommer und Herbst 1901 mehrere Artikel im Berliner Lokal-Anzeiger, die auf die Vorzüge der Wanderruderei aufmerksam machen sollten. Er nutzt dabei das Pseudonym Max Kempff. Wir veröffentlichen die Artikel hier nochmal.


Nachtfahrt

Durch das Kabinenfenster grüßt noch einmal die schwedische Küste: etwas Baumwerk, ein letzter Turm, eine granitne Erhebung – und dann breitet sich endlos die graue Ostsee, die von allen genauen Kennern Misdroys und Heringsdorfs überlegen lächelnd als „Familienteich“ gebrandmarkt zu werden pflegt. Nach dem fünfstündigen Nachtsturm im Kattegat, den ich vorgestern zu erleben die Ehre und das ein bischen zweifelhafte Vergnügen hatte, werde ich für meinen Teil nichts Scherzhaftes mehr über die alte Wikingerstraße sagen… Heute, im trüben Dunst eines Wolkentages, liegt sie wieder still und fast spiegelglatt. Taktgemäß hebt und senkt sich der Schiffskörper, ohne daß seine Bewegung den Schreibenden stört, und mit dem Schnaufen und Brummen der Maschine mischt sich zu anmutiger Musik das Rauschen der weißen Wellen, die die Schraube aufwirft. Es geht der Heimat entgegen! Uebermorgen in aller Frühe werden die Gewässer Brandenburgs mein schlankes Boot bespülen, und so wild sich die Müggel auch immer gebärden mag, solche Opfer wie das Kattegat fordert sie in angeborener Gutmütigkeit doch nicht.

Wenn man die Müggel schon als märkisches Kattegatt ansprechen will, so lassen sich die Seenketten in ihrem Rücken viel zwangloser mit den malerischen Buchten der Saltsjön vergleichen, auf die der Stockholmer so stolz ist.

Manchmal springt die Aehnlichkeit so auffallend in die Augen, daß man sich nach der Flagge unseres lieben Märkischen Rudervereins umsieht und jede Minute Maxens und Moritzens fröhlichen Zuruf erwartet. Wohl fehlt den Ufern daheim das Urgestein; die Mark kam eben schlecht weg und hat vom schwedischen Gebirge nur einige Waggonladungen voller Findlinge bekommen, sich im übrigen aber mit schierem Sande behelfen müssen. Indeß, die Borde unserer Binnenseen erheben sich kaum minder malerisch, und der Hochwald, der sie krönt, giebt an Frische dem im Nord gar nichts nach! Selbst die prächtige grüne Farbe des Salzsees findet sich hier und da bei unseren Gewässern. Fährt man im verglimmenden Lichte des Abends über sie hin, dann weiten sich auch die Entfernungen und die Aehnlichkeit nimmt zu. Den Sonnenuntergang, der sich gestern auf der Höhe von Norsholm mit verwirrendem Prunk entfaltete – wo habe ich ihn doch schon gesehen? Blaugraue Regenwolken, deren dunkle Färbung mit jeder Minute zunahm, blockierten den Westen, doch hinten, in der Richtung, wo Thule liegen mochte, flammte und flackerte der Himmel in höllischen Rot. Und dies Rot brach sich Bahn durch die Wolkenmassen; eins schmaler, langer Purpurreif lief über den ganzen westlichen Horizont, und aus hundert Rissen in der schwärzlichen Decke sickerte es hervor, wie Rebenblut aus gesprengter Tonne. Darüber standen in bleicher Glut gewaltige Barren golden überhauchten Silbers, und je tiefer die Nacht ward, desto heller loderte die weiße Feuersbrunst, funkelte Rosen- und Rubinrot aus der nun pechschwarzen Wolkenumrahmung hervor. Und all das abenteuerlich wilde Licht spiegelte sich auf der sacht bewegten, trüben Flut. Ein Geheimnis in brennenden Runen aus der Zeit, wo Balder und Loki unablässig um den Sieg rangen, eine in Farben übersetzte Edda-Ballade… Daß ebensolche Offenbarungen über den Flußläufen der verachteten Heimat funkeln, daß wenige Meilen hinter Berlin dieselben Wunder sich enthüllen – wer glaubt es, der sie nicht mit eigenen Augen gesehen hat und den heimlichen Märchenreichtum unserer Spree- und Dahme-Niederungen nicht kennt?

Die Fahrten ums Abendrot, denen sich dann die von Bürgers Leonore nachweislich zuerst betriebene Fahrt ums Morgenrot unmittelbar anzuschließen pflegt – zwischen beiden muß Mondschein im Kalender stehen – spielten früher eine große Rolle im Berliner Ruder-Programm. Auch für sie hat das Interesse jedoch bedauerlicherweise abgenommen. Gewiß ist einige Mühsal und Unbequemlichkeit mit ihnen verbunden, die indeß durch rechtzeitige Bestellung des Nachtquartiers gänzlich vermieden werden kann. Selbst zur Hochsommerzeit, wo jeder Gastwirt am Wasser das Haus voller hauptstädtischer Erholungsbedürftiger hat, findet sich für den Ruderer immer noch ein Unterkommen. Freilich, die rechte Liebe ist das alles nicht. Die richtige Nachtfahrt schließt ein Lager im Freien ein, auf duftender Wiese oder im grünen Kiefernwalde, unter Gottes Sternen. Und da ist immer Platz, da braucht man nie um Unterkunft besorgt zu sein.

Um die neunte Abendstunde, vornehmlich an klaren Juli- und August-Sonnabenden, lassen die Nachtschwärmer das Boot zu Wasser. Der Sonnenbrand des Tages ist verglüht, aber noch schimmert der Himmel von den zarten Tinten, die er drüber ausgegossen hat, und wohlige Wärme liegt noch in der weichen Luft.

Mit raschem Schlage kommen wir vorwärts. Allenthalben das fahle, verheißungsvolle Leuchten der Mitsommernacht, in der es nie völlig dunkel wird. Wie weiche Seide umspinnt sie uns, schwarze, weiche Seide, die bestimmt ist, die schlanken Leiber schöner Frauen zu schmücken. Je näher wir an Coepenick heran kommen, desto zahlreicher werden die bunten Lichter der Dampfer, die, mit singenden und lachenden Menschen bis zum Rande vollgestopft, von den mit Recht so beliebten sonnabendlichen Fabrikausflügen heimkehren.

Lange noch schimmern die weißen Kleider der Mädchen durchs Dunkel, und schmetternde Musik giebt uns noch lange das Geleit. In diesen Sommernächten sieht und hört man doppelt scharf.

Ist dann die schmale Einfahrt zur Müggel passiert, so hat gemeiniglich der Mond Ehrgefühl genug, hinter Rahnsdorf aufzugehen. Es ist vom Steuermanne rechtzeitig bestellt worden, der ihn dringend braucht, um romantisch schwärmen und das einzige klassische Lied, das er noch auswendig kennt, Goethes „An den Mond“, mit Empfindung deklamieren zu können. Der brave Geselle thut, wie gesagt, dem Steuermann auch heute gern den Gefallen. Unsere Skulls tauchen in eitel Silber, und Silber tropft blinkend von ihnen nieder. Die Mannschaft starrt entzückt in das Wunder. Nun hält der Steuermann den Augenblick für gekommen, um sein Leiblied endlich auch einmal bei Nacht zur Geltung zu bringen. Er brummelt die Anfangsworte vor sich hin und hofft, daß der Schlagmann ihn, wie das so alter Brauch und geheiligte Ueberlieferung ist, mit zärtlicher Stimme auffordern werde, „eins von dem ollen Goethe“ zum Besten zu geben.

Leider sitzt heute Moritz vorn. „Wahrhaftig,“ sagt er. „Sieht der Müggelsee nicht aus wie eine kolossale Punschterrine? Die Müggelberge im weißen Licht sind die Zuckerhüte, wir paddeln im Rum rum, und der Mond, das ist die Zitrone, die zum Schluß hineingequetscht wird.“

Das appetitliche Bild sagt der Mannschaft zu, aber die Empfänglichkeit für Goethe’sche Wehmutspoesie ist zum Teufel. „Du hast doch den Ingwer mitgenommen?“ fragt besorgt Max seinen Kumpan. „Der ist nach dem Morgenbad besser als ein nasses Handtuch.“

Aber wenn der Steuermann es uns auch nicht mit süßer Stimme, in Ergriffenheit dahinschmelzend, versichern kann: Busch und Thal sind doch hell mit Nebelglanz gefüllt. Und dem unsäglichen Zauber der Stunde beugt sich jedes Herz. Einer versichert dem Anderen mit leuchtenden Augen, daß dies wunderbar schön sei. Und da der Führer der Opposition nicht mit an Bord ist, so wird der Antrag einstimmig angenommen. Das Boot zieht bekannte Pfade, die doch im Lichte dieser Nacht so ganz eigene und absonderliche Reize zeigen. Und niemand wird es müde, den Stimmen im Schilf und in den Föhrenwipfeln zu lauschen, sich des Spiels der niederrinnenden Lichtwellen zu freuen, die immer neues Gegitter und Gerank auf die leis bewegten Wasser zeichnen…

Zwei Stunden später wird die Lagerstätte ausgewählt. Der Steuermann, ein Erfahrener von vielen Graden, hat den besten Vorschlag zu machen: Die Insel dort, deren Linden ein schützendes Dach bieten und die bequemer anzulaufen ist als das rohrumstandene Gestade des Sees.

Knirschend geht das Boot an Land. Rasch sind die Mäntel hervorgeholt, rascher verteilt. Mann rückt dicht an Mann und streckt sich behaglich auf dem weichen Sandboden aus, der sogar des üppigen Pflanzenwuchses nicht entbehrt. Und während die Mondstrahlen unablässig niederrieseln, feiner, leuchtender Sand aus dem Vorrat des schlafspendenden Sandmannes, kommt der Schlummer den Wegemüden unversehens.

Er wird nicht lange bei ihnen bleiben. Im Walde wacht man zeitig auf. Wenn einen die Vögel nicht wecken, dann besorgt es zuversichtlich noch vor Sonnenaufgang der Morgenwind. Max wird eher zu seinem Badeschnaps kommen, als der er sich träumen läßt. Und er entdeckt dann zu seinem Vergnügen, daß der vom Steuermann so dringend befürwortete Ruheplatz entweder in einem Ameisenhaufen oder doch mindestens in einem Brennessel-Busche belegen gewesen ist. Und die Mannschaft bittet dem Lindwerder den schnöden Verdacht ab, den sie die ganze Nacht hindurch mit sich herumgewälzt hat: Daß er ein von den Flöhen bevorzugter Luftkurort sei.

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Richard Nordhausen unter dem Pseudonym Max Kempff, erschienen im „Berliner Lokal-Anzeiger“ 1901/02 (Hervorhebungen nicht im Original)