Werbung für die ‚Ruderei‘ im Berliner Lokal-Anzeiger von 1901

Um Mitglieder für den Märkischen Ruderverein zu gewinnen, veröffentlichte Richard Nordhausen im Sommer und Herbst 1901 mehrere Artikel im Berliner Lokal-Anzeiger, die auf die Vorzüge der Wanderruderei aufmerksam machen sollten. Er nutzt dabei das Pseudonym Max Kempff. Wir veröffentlichen die Artikel hier nochmal.


Die kleine Umfahrt

Was sich in einem Doppelzweier alles verstauen läßt, und was er in unerschöpflicher Geduld alles an Bord nimmt, das ist schwer zu singen und zu sagen. Wollte man die Nahrungsmittel, die Getränke und Gerätschaften, die schützenden Mäntel und den unterschiedlichen Krimskrams, der bei einer Tagesfahrt mitgeschleppt wird, säuberlich auf genauer Liste verzeichnen, so ergäb’s einen Folianten, den jeder Walzer-Verleger mit innigen Lustgefühlen betrachten würde. Nansen und Prinz Ludwig Amadeus von Savoyen, die sich so vortrefflich auf gewissenhafte Verproviantierung ihrer Nord- und Südpol-Schiffe verstehen, haben wahrscheinlich in grauer Vorzeit bei uns mitgerudert; anders wäre der Ursprung ihres Talentes nicht erklärlich.

Man muß Moritz sehen, wenn er in der Morgenfrühe zum Bootshaus gekeucht kommt, mit einem gewaltigen Tornister aus den Freiheitskriegen beladen: keusch verhüllte Wurstungetüme lugen an allen Ecken und Enden hervor, während die Tiefe andere köstliche Leckerbissen fleischlicher Natur in fast unbändiger Fülle birgt.

Stammte der Tornister nicht aus den Freiheitskriegen, wo noch ein solides Stück Arbeit geliefert wurde, so wären unterm Druck dieser Viktualienmassen seine Nähte längst geplatzt. Auch Max zählt keineswegs zu den Vegetariern. Immerhin hat er eine unwiderstehliche Neigung zu jungem Gemüse, die ihm seine Frau Mutter Sonnabends kocht, in wohlverschlossenen Konservengläsern, mitunter auch in Milchkannen verpackt, und die ihm dann, auf dem Spirituskocher erwärmt, ein festliches Sonntagsmahl bieten. Was den Steuermann anbelangt, so vertraut er blindlings der überlegenen Weisheit Lenchens: Lenchen ist seine verlobte Braut, und liebend versieht sie ihn mit Schleckereien, die regelmäßig den geschwollenen Neid der übrigen Mannschaft erwecken. Ganz besonders in Hinblick auf die Quantität. Der Steuermann pflegt sich auch strebend um den Biervorrat zu bemühen, ohne den ein Mittagsbrot im Ufergras schlecht denkbar ist, und da er bei jeder Abfahrt schlechtes Wetter prophezeit, auch ein drei- bis vierstündiges Mittagsschläfchen im Grünen der schönsten Arbeit vorzieht, so vergißt er der wärmenden Decken und Mäntel nicht.

Die schon in ihren Vorbereitungen so lustigen Lagerfahrten werden bedauerlicherweise von den großen Berliner Ruderklubs nicht so mit rechtem Nachdruck betrieben. Erst der Märkische Ruderverein hat hier Wandel geschaffen.

Man scheute früher die Unbequemlichkeiten, den umständlichen Apparat, den sie erfordern, und zog es vor, nach der Ankunft am Ziel den Gastwirt für des Leibes Nahrung und Notdurft sorgen zu lassen. Ja, wenn ich nicht irrig bin, sehen manche von Jenen, die sich aus einigermaßen dunklen Gründen für Wasseraristokraten halten, mit etlicher Verachtung auf die fröhlichen Gesellen herab, denen es an Waldes und Flusses Rand so ungebührlich gut schmeckt. Nun kann man Wochentags durchaus ein verwöhntes Menschenkind sein und gerade deshalb auch Sonntags die Restaurantkost fürchten. Wenigstens die Restaurantkost in manchen Gegenden unserer Umgegend. Oder man kann, nach den sechs Tagen der häuslichen Fleischtöpfe besonderes Gefallen an solch einer keck und rasch improvisierten bei aller Einfachheit vortrefflichen Mahlzeit finden. Wie dem immer sei: Max und Moritz benutzten jeden halbswegs regenfreien Sonntag zum Abkochen, der Steuermann aber hält es für seine Pflicht, sich durch die schmackhaften und großen Portionen, die Lenchen ihm mitgiebt, dauernd an sie erinnern zu lassen und sich würdig auf die stillen Freuden des Ehestandes vorzubereiten.

Ein Anfänger rudert heute auf dem Bugsitz, während Moritz sich dem Steuermann gesellt hat und mit Argusaugen die Form des Neulings prüft. Noch hapert es hier und da mit dem Plattdrehen, der Einsatz der Skulls ins Wasser läßt zu wünschen übrig und dies vor allem, „Nummer Eins arbeitet zu sehr aus den Armen.“

Es ist gut, daß Moritz aufpaßt, denn der Steuermann hat einen seiner müden oder gedankenreichen Tage. Er dämmert vor sich hin, und auf dem Seddin ist das möglich. Da kommt es auf eine Abweichung vom Kurse nicht wesentlich an. Nur den Segelbooten darf man nicht allzu nahe kommen, und Moritz darf nichts merken, der gegen Versteuerungen sehr empfindlich ist. Aber den beschäftigt heut ganz und gar Nummer Eins. „Halten Sie doch den Kopf gerade“, sagt er eben, „es sieht ja aus, als spielten Sie Fangball damit und würfen ihn sich von einem Ufer zum andern zu.“ Der Neuling neigt ergeben den gescholtenen Kopf auf die Brust, was ihm wieder die Mahnung einträgt, ruhig der Außenwelt ins Gesicht zu schauen. „Denn Sie werden doch hoffentlich nicht steckbrieflich verfolgt?“

Die Ufer verengern sich, der Wald verschwindet, Wiesen treten heran, und die Fahrstraße wird seichter. Jetzt hält der Steuermann es für geboten, seinen Träumen Valet zu sagen. Das Boot fährt in den Gosener Graben ein, dessen launische Windungen und Krümmungen hohe Aufmerksamkeit erfordern, und der zuweilen nur eben für beide Skulls Platz läßt. Anfangs allerdings, da geht es noch zur Not. Zwar wimmelt das Wasser von saftigem Kraut, und grün dehnt sich das träge Rinnsal. Die breit ausladenden Aestchen und Zweiglein der Pflanzen durchziehen es kreuz und quer; fast könnte man glauben, in das erste Entwickelungsstadium eines Torfstiches geraten zu sein. Doch wenn die Skulls auch bei jedem Schlage von üppigem Grün umrankt werden –man kommt zur Not noch vorwärts. Hinter der Brücke, wenn wir die ganz entzückend an der Waldgrenze gelegene Unterförsterei Fahlenberg passiert haben, wird es anders. Ruderer und Steuermann müssen jetzt gut Acht geben. In Schlangenlinien schleicht der Graben durchs Wiesengelände, und so niedrig ist dabei, jetzt zur Hochsommerzeit, der Wasserstand, daß man bequem neben dem Boot einhergehen kann, nur Schuhe und Strümpfe auszuziehen braucht. Die Tricots werden dabei nicht naß. Immer dichter ballt sich das Kraut zusammen; hier und da ist es fast unentwirrbar verfilzt und hemmt gewaltig den Lauf des Fahrzeuges. Niemals darf auch nur eine Minute lang zu kräftigem Schlage eingesetzt werden.

Um nicht aufzulaufen, schiebt sich der Zweier ganz langsam, matt und müde, durchs Gestrüpp. Wiederholt braucht der Steuermann bei jähen Wendungen die Hilfe der Ruderer, um lenken zu können. So geht es an den prächtigen Wiesen hin, deren schwarzes Erdreich die Vertorfung anzeigt, manchmal durch kleine, tümpelartige Erweiterungen, die Schilfränder tragen und auf denen sich Mummeln und Wasserlilien zu Hunderten schaukeln.

Ein schwüler, leicht betäubender Duft von Heu und stark aromatischen Pflanzen, die in der hellen Mittagssonne ihr Parfüm verschwenderisch verausgaben, schwebt beständig über dem Boot. Man muß, um den berauschenden Zauber dieser Fahrt auszukosten, in fauler Ruhe hinten am Bug liegen und die Arbeit anderen überlassen können. Da gleitet der Blick durch die blühende, bunte Herrlichkeit des Wiesenlandes, das sich grenzenlos in die Bläue hinein auszudehnen scheint. Wundersame, wohlriechende, farbenprangende Einsamkeit. Die Ufer mit ihrer fetten Erde tragen in jeder Jahreszeit andern Blumenschmuck; wenn die ersten Vergißmeinnicht erscheinen, versäumt der Steuermann niemals, einen gewaltigen Buschen davon für Lenchen zusammenzuraffen. Heute streicht er haarscharf an schlanken Wasserlilien vorbei, die wie aus feinem Porzellan gearbeitet, unbeweglich auf der trüben Flur stehen. Moritz muß sie mit geschicktem Griff abreißen und zu einem Strauße binden. Nur schade, daß die bewußte junge Dame abends verwelkte Schönheiten sieht. Wasserlilien sollte man da prunken lassen, wo „ein lieblicher Gedanke ihr Haupt hin und her wiegt“; sie erfreuen dann Hunderte mit ihrer Anmut, während die gepflückten sofort zu Grunde gehen.

Eine goldene Wolke von seltsam süßen und wilden Düften, seltene Pflanzen, die man sonst blos noch im Spreewald findet; Blätter, breit und fabelhaft, und die Empfindung, daß man ein uraltes Gebiet durchstreife, einem Graben, darauf der Einbaum schwamm, den der Wendenjüngling zur Liebsten ruderte, auf dem der praktische Wendenvater Hechte angelte; eine Wiese, in deren Gestalt und Wachstum sich nichts geändert hat seit tausend Jahren – alles das leiht dieser Fahrt melancholisch-süßen Reiz…


Nun ist der Dämeritzsee erreicht. Aus seinen Baumkronen lugt Erkner hervor, die freundliche Hauptstadt des grünen Wald- und Seengebietes, das sich nach Rüdersorf hinauf erstreckt und auf einsamen Pfaden dem überraschten Wanderer unaufhörlich neue Bilder märkischer Schönheit vor Augen rückt. Heute wenden wir dem gastlichen Orte den Rücken. Es ist auch für uns Ruderer das Eingangsthor von lange nicht genügend gewürdigten landschaftlichen Wundern, aber der heiße Tag ladet zum Bade.

Und recht con amore in der kühlen Flut herumplätschern, schwimmen und tauchen, mit den Genossen erbitterte Wasserschlachten ausfechten und nachher im sonnenheißen, von der Sonne gebleichten Sande ein zweites, erquickliches Luftbad nehmen – das ist nur an der Müggel möglich.

So lassen wir Hessenwinkel, die groß geplante Villenkolonie, die leider nicht recht emporkommt, steuerbords liegen und schießen mit der starken Strömung hurtig den Rahnsdorfer Graben hinunter, zu dem sich die Spree zwischen dem Dämeritz und der Müggel verengt.

Wenn wir Abends ins Bootshaus zurückgekehrt sind, rotbraun gebrannt, an Leib und Seele wunderbar erfrischt, dann trägt der Steuermann stolz ins Fahrtenbuch ein: Bei 24 Grad im Schatten die kleine Umfahrt gemacht. Als ob auf dem Wasser die Temperatur jemals etwas zu bedeuten hätte!

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Richard Nordhausen unter dem Pseudonym Max Kempff, erschienen im „Berliner Lokal-Anzeiger“ 1901/02 (Hervorhebungen nicht im Original)