Werbung für die ‚Ruderei‘ im Berliner Lokal-Anzeiger von 1901

Um Mitglieder für den Märkischen Ruderverein zu gewinnen, veröffentlichte Richard Nordhausen im Sommer und Herbst 1901 mehrere Artikel im Berliner Lokal-Anzeiger, die auf die Vorzüge der Wanderruderei aufmerksam machen sollten. Er nutzt dabei das Pseudonym Max Kempff. Wir veröffentlichen die Artikel hier nochmal.


Der Krossin

Das ist die echte, alte Spreewendei. Der Wernsdorfer Kanal, das erste Stück des sehr nützlichen, landschaftlich aber auch sehr öden Oder-Spree-Kanals, verbirgt mit seinen Böschungen und mageren Kiefern lange Zeit neidisch ein liebliches Idyll. Endlich verlassen wir ihn, mit jäher Wendung, unter kräftigem Steuerdruck, und schon schwimmt das Boot auf dem grüngelben Krossin, schon lacht Wernsdorf, das freundliche Fischernest, uns mit hübsch rot und blau gestrichenen Häusern, grünen Gärtchen und weißem Sande an. Ja, Sand – das ist neben Fischen das Hauptprodukt dieser Gegend.

Man braucht nur an Land zu gehen, ein paar Schritte nur, und überall rieselt einem Streusand von erstaunlicher Güte entgegen. Als hätte die Wüste Sahara hier ein Depot eröffnet.

Der Sand wagt sich bis an die Schwelle der Häuser und wer für sandbestreute Fußböden schwärmt, Sandböden liebt und seine Briefe noch nach Urväterart, das Löschblatt bieder verschmähend, trocknet, der lebt hinterwärts von Wernsdorf im Paradiese. Das bischen Gartenland ist dem Sande, der es aufdringlich umlauert, mühsam abgerungen worden, und die Felder bieten unter sotanen Umständen wenig Ertrag. Da nun Sand als Naturerzeugnis kein besonders bevorzugter und lohnender Exportartikel ist, ginge es den Wernsdorfern ungebührlich schlecht, wenn ihre Fische nicht wären. Aber die kommen reichlich, Gottlob. So viele Netze und Fischkästen, so viel raffinierte Fangeinrichtungen wie bei Wernsdorf findet man selbst in der Mark nicht oft . See und Ufer wimmeln davon, Und das Geschäft nährt seinen Mann.

Grüngelb, gleich einem Alpensee, breitet sich der Krossin. Es ist sonst das typische Bild brandenburgischer Flußbuchten: schilfgeschützte Wiesen, Kiefernwald mit frischem Unterholz, überall der weite Blick auf blitzende Wassermassen. Nur daß sie gewöhnlich die Farbe des Himmels, am liebsten sein poetisches Frühlingsblau, widerspiegeln. Der Krossin aber hat in dieser Beziehung Eigenart. Und wer ein bischen Phantasie besitzt, dem fällt es leicht, seine klare Flut von einem Kranz steiler Berge umrahmt zu sehen. Sonderlich, wenn Regenböen drüber hinstürmen und rasendes Gewitter niederprasselt, wenn rundherum die Donner brüllen und flackerndes Blitzgeleucht die Wasser phantastisch erhellt. So trafen wirs an jenem Sonntag im vergangenen Jahre, dem Unheilstage, an dem der Große Zug, des Krossins südliche Fortsetzung, sieben arme Opfer forderte. Das Wetter hatte sich geraume Zeit vorher angekündigt. Schon der ungewohnt stramme Ost, der die Ruderarbeit in den frühen Vormittagsstunden nach Kräften erschwert hatte, mußte zur Vorsicht mahnen. Dann ballte sich das Gewölk zusammen, ward dunkler und drohender mit jeder Minute; überall am Horizonte sah man Strichregen prasseln, und während über Gosen noch blauer Himmel lachte, wehte schon warme Gewitterluft den See entlang.

Dann sprang der Wind um, und nun entlud sich die Wut des Wetters. In unsere derben Mäntel gehüllt, sahen wir vom sicheren Ufer aus seinem leidenschaftlichen Toben zu, sahen, wie es in Wolkenbrüchen auf die schäumende Flut stürzte, als wollte es sich an sie klammern, sich in sie verbeißen, Und während wir, des an uns niedertriefenden Regens und der uns ins Gesicht schlagenden, abenteuerlich großen Schlossen kaum achtend, in das unerhört prächtige Schauspiel starrten, spielte sich wenige Hundert Meter vor uns, hinter grauen Gewitterschleiern, die Tragödie ab, die Tags darauf Berlin in erklärlich Erregung versetzte. Eine Tragödie verruchten Leichtsinns.

Gleich heute möge ausdrücklich bemerkt werden, daß der Wassersport, zumal die Ruderei, der abgemeinen Annahme entgegen, weit weniger Gefahren birgt, als die meisten anderen sportlichen Vergnügungen. Kunstgerechten Betrieb natürlich vorausgesetzt. Niemals in den langen Jahren, die uns auf Spree, Dahme und Havel gesehen haben, ist unserer Mannschaft etwas ernstlich Unangenehmes zugestoßen. Gewiß, wir haben die Gefahr nicht gesucht, aber wir sind ihr auch nicht hasenherzig aus dem Wege gegangen. Ich erinnere mich einer Reihe herbstlicher Segelfahrten in gedecktem Zweier, wo das leichte Boot wie ein Wasservogel über die gischtgekrönte Fläche dahinschoß. Fock, Gros und Besan vom Vollwind geschwellt, und immer wieder ist mir das Glucksen und Rauschen des Wassers am Kiel, das leise Zischen des Vorderstevens, der die Flut durchschneidet, köstliche Musik.

Zuweilen überrumpelt einen das Wetter mitten auf dem See, und man hat dann, wie auf der Müggel, gegen sich kreuzende Wellen zu kämpfen, die das Boot seitwärts und hinten anspringen und Waschwasser genug hineinschleudern. Indes geniert der Anfänger überhaupt nie eine solche Situation, wenigstens da nicht, wo verständige Aufsicht vorhanden ist. Und der Unerfahrene rudert immer nur in Gesellschaft erprobter Wasserratten.

Mit ihnen zusammen ist es eine Lust, dem Sturm und Gewitter den überlegenen Meister zu zeigen. Mut und Entschlossenheit, unbeugsame Kraft und kühle Geistesgegenwart –jede Mannestugend kommt da zur Blüte. „Michel, horch, der Seewind pfeift!“ Die Hände fest an der Leine, lenkt der Steuermann das Boot durch die kochende Flut, immer bemüht, möglich wenig vom Ziel abzuschweifen und durch die Wellen glatt zu schneiden. Der Schlagmann giebt sein Bestes her, und der Bugmann müht sich, ihn zu übertreffen: mit der Wucht und der unfehlbaren Sicherheit einer rasch arbeitenden Maschine fliegt das kleine Fahrzeug dahin. Selbst bei schwerstem Wetter kann ein gedeckter Doppelzweier, in dem gut erzogene Mannschaft sitzt, nicht kentern. Das bischen Naßwerden aber nimmt man lachend in Kauf, und das frohe Bewußtsein, durch eigene Kraft Sieger im harten Kampfe geblieben zu sein, ist köstlicher Lohn solch schwieriger und anstrengender Fahrt.

Doch, wohl verstanden, man geht nie mit der Absicht aufs Wasser, derartige Heldenstücke zu vollbringen. Kein verständiger Ruderer kreuzt bei starkem Westwind die Müggel. Hat ihn das Wetter unterwegs überrascht, zieht Gewittersturm herauf, so meidet er auf jeden Fall die verrufenen Stellen, das Rahnsdorfer, das Wolziger Gemünde, gewisse Böenecken zum Beispiel, und läuft lieber auf Land. Bei den Seglern nimmt mans’s leider mit alledem nicht so genau. Da ziehen übermütig Totenkisten mit vollem Zeug ins Wetter hinaus, da überfrachtet man die Fahrzeuge mit Bekannten beiderlei Geschlechtes, die, sobald Gefahr im Verzuge ist, an allen Ecken und Enden hindern; da nimmt man in gewissenloser Dummheit arme Würmer von acht Wochen mit aufs Wasser, sperrt Frauen und Kinder just dann in die Kajüte ein, wenn die schlichteste Ueberlegung das Gegenteil anordnen sollte. Die Neigung gewisser Segler zu Schnaps und anderen sorgenstillenden Getränken, die beim Rudersport während der Tour einfach ausgeschlossen und unmöglich ist, diese unheilvolle Neigung hat gleichfalls manches Unglück verschuldet. Man ist des trockenen Tons auf Segelbooten gemeinhin allzu bald satt. Besonderen Tadel verdient noch die üble Gepflogenheit, bei strammem Wind die Leine festzulegen. Oft genügt da ein Ruck, eine rasch aufspringende Böe, um das schwankende Fahrzeug zum Kentern zu bringen. Glücklicherweise giebt es aber grade bei uns besonnene Segler genug, die, wie mein alter Freund in Hankels Ablage, die Vorsicht lieber zu weit treiben, als sie zu vernachlässigen. Der ließ, sobald er Unrat witterte, kurz entschlossen das Zeug fallen und sich dann vom Winde treiben. Ihm ist nie ein Malheur passiert. Der guten Einwirkung solcher Elemente gelingt es vielleicht im Laufe der Jahre, die Unnüchternen und Drauflos-Protzen zur Vernunft zu bringen. Unfälle werden dann nur noch bei Segelregatten zu verzeichnen sein, wo der heiße Eifer, den Sieg an sich zu reißen, die bedächtige Ruhe naturgemäß in den Hintergrund schiebt, wo dann aber auch immer Retter und Helfer in Scharen parat stehen….

In majestätischer Pracht, wie es gekommen war, zog das Gewitter davon. Schwarz blinkend, von keinem Lufthauch bewegt, lag die Fläche des Zeuthener Sees da; von dem finstern Schwarz des Himmels ging nur hier und dort ein graues Wölklein los und machte die unheimliche Großartigkeit der Bilder noch wirkungsvoller.

Alles war von schwerem, bläulichem Wasserdampf umsponnen: die schmucken Villen und niedrigen Bauernhäuser, Wirtschaften und Fischerbuden am Ufer, die Schmöckwitzer Zugbrücke, deren lustige Silhouette heute gar trübselig drein schaute; weiter hinten die Müggelberge. Dann und wann schwänzelte noch ein Blitz durchs Gewölk, und ferner Donner grollte wie ein Raubtier, das halb hungrig vom Raubzug in seine Höhle zurückgekehrt war. Wo Berlin lag, zeigten sich die blauschwarzen Regenstriche, und hinter uns …. hinter uns welche unbändige, unbegreifliche, funkelnde Herrlichkeit! Auf dem schieren Sande der Hügel vom Wilhelmsblick liegt heller, goldener Sonnenglanz. Der Sand flammt auf, wie von innerem Feuer durchglüht, er gleißt und prunkt wie der Nibelungen Hort, und über den Höhen, zu ihren Füßen, zu beiden Seiten glotzt die blauschwarze, gespenstische Wolkenfinsternis, die tote, dunkle Wasserfläche. Das ist ein so wilder, gewaltiger Effekt, daß unsere Rudersleute für eine Minute die Skulls sinken lassen und wie verzaubert in das Wunder starren. Rasch verblaßt und versinkt dann die Vision. Wieder streicht schwüler Gewitterwind übers Wasser – „eins drauf!“ hallt das Kommando. Wir wollen Schmöckwitz erreichen, ehe der neue Guß niederrauscht.

Es ist fünf Uhr Nachmittags, Nachmittags im Juli, aber in den Schmöckwitzer Tanzsälen brennen die Lampen, und wenn die bunten Mädchenblumen sekundenlang in der Thür erscheinen, um die vom Walzer erhitzten Gesichter zu kühlen, dann kommt uns die spukhafte Dunkelheit der frühen Gewitternacht mit ihren malerischen Wirkungen noch einmal deutlich zum Bewußtsein.

Sieben Tote dort drunten in den grauen Fluten des Großen Zugs, sieben stille Menschen, die heute Morgen noch fröhlich waren wie diese, denen junges Glück aus blauen und braunen Augen sprüht, und die alle Lust des Lebens jauchzend auskosten. Am farbigen Abglanz haben wir das Leben. – Komm, Mädel, tanzen wir eins ‚rum! sagt unser Jüngster zu der Blonden. Er zitiert Lenau, den großen Schwermutsvollen, ohne es zu wissen. Auch ein Symbol!…llerndes, geflügeltes Gewürm schwirrt durch die wasserdampfgetränkte Luft. Nun wundert es Dich nicht mehr, wenn Du zuletzt in ein Rinnsal gelangst, das vor zehntausend und mehr Jahren ein Fluß, so breit wie heute die Havel, war. Zu beiden Seiten ragen die alten Ufer, jetzt mit Kienen und Unterholz bestanden, auf; ganz deutlich erkennt man das majestätische alte Bett. Schauer der Vorwelt wehen Dich an, nun die warme Nacht herniedersinkt und die Träume erwachen …

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Richard Nordhausen unter dem Pseudonym Max Kempff, erschienen im „Berliner Lokal-Anzeiger“ 1901/02 (Hervorhebungen nicht im Original)