Werbung für die ‚Ruderei‘ im Berliner Lokal-Anzeiger von 1901

Um Mitglieder für den Märkischen Ruderverein zu gewinnen, veröffentlichte Richard Nordhausen im Sommer und Herbst 1901 mehrere Artikel im Berliner Lokal-Anzeiger, die auf die Vorzüge der Wanderruderei aufmerksam machen sollten. Er nutzt dabei das Pseudonym Max Kempff. Wir veröffentlichen die Artikel hier nochmal.


Nach Zwiebusch

Der Tag verspricht ja gut zu werden. Unbeweglich steht unsere blankgrüne Esche im Sonnenbrand des jungen Morgens, die Spree ist fast eingeschlafen, und es scheint, daß sogar ihre kurzen Wellchen, die doch sonst immer am Stege herumspielen, heute keine Lust haben, durch Kraut- und Tang- und Schling-Gewächs ans Ufer zu gelangen. Eine Trägheit ohnegleichen rundum. Keine einzige Wolke hält es für nötig, fleißig wandernd darauf hinzuweisen, daß die Parapluiefabrikanten noch nicht völlig zu verzweifeln brauchen, und der Regen noch nicht ganz aus der Weltordnung ausgeschaltet ist. Reingefegt starrt der blitzende Himmel; nicht einmal die Dunstschichten, die sonst in so früher Stunde am Horizont lagern, trauen sich recht hervor. Dabei sind bereits jetzt 19 Grad im Schatten. Das heißt – soweit von Schatten die Rede sein kann.

Max und Moritz, die beiden Ruderer, haben am Mittwoch den Zweier frisch lackiert, so daß er sich kühnlich in all dem sonntäglichen Sommerglanze sehen lassen kann. Während sie die Dollen ölen und die Skulls für die Fahrt präparieren, schleppt der Steuermann einen Korb voll Weißbier und Schultheiß-Märzen herbei, welche Mischung nach seiner wissenschaftlichen Theorie den besten Landwehrtopf ergiebt.

„Und in den Zigarrenkasten soll ich hinein?“ fragt ein bischen ängstlich der Neuling, der nur mühsam seinen Widerwillen gegen das scheinbar lebensgefährliche Experiment, nicht in goliathbreiten Mietskähnen zu rudern, bezwingen kann. „Wenn er nun aber doch kippt?“

Max weist ihn beruhigend auf das Unkraut hin, das sich vorn am Steg auf der Wasserfläche breitet, und meint, so etwas vergehe bekanntlich nicht, und Moritz rät ihm, sich gleich eine Korkweste umzubinden und eine Taucherglocke über den Kopf zu stülpen. Der Neuling findet sich nicht sobald in den erfrischenden Klub-Ton, seufzt tief auf und beschließt, heute überhaupt gar nichts mehr zu sagen.

Nun ist Proviant und Getränk sachgemäß verstaut, Schlagmann und Bugmann haben ihren Platz eingenommen, und der Steuermann hilft dem Kielschwein mit jener berückenden Grazie, die ihn bei allen rudererfreundlichen jungen Damen innig verhaßt gemacht hat, ins Boot. Der Unglückliche stützt sich mit verzweifelter Energie auf die dargebotene Hand und tastet vorsichtig mit bebendem Fuße an der Bordwand entlang. Max und Moritz grinsen. „Nu man rin ins Verjnüjen“, muntert der Steuermann den Neuling – das Kielschwein, wie ich eben bemerkte – auf. „Wir können doch Ihretwegen hier nicht gleich Nachtquartier machen.“ Das hartherzige Wort verleiht dem Zagenden Mut zu kühnem Entschlusse; waghalsig tritt er auf das Greeting, so daß der Zweier wild zu schaukeln beginnt, und sinkt dann erschöpft auf den alten Steuermantel nieder, den man ihm gastfreundlich als Polster dargeboten hat.

Und dann geht es davon. In schönem, taktgemäßem Schlage gleitet das Boot über die saphirene Flut. Denn wirklich, die Oberspree kann saphiren sein, wenn sie nur will. Meist will sie aber nicht. Max und Moritz legen sich kräftig ins Zeug; Morgens vor dem zweiten Frühstück und Abends, wenn man noch zehn Minuten vom Bootshause entfernt ist und bereits den Stall wittert, rudern sie immer meisterhaft. Dem Neuling beginnt die Sache zu gefallen. Jetzt schon.

Der blaugoldene Himmel über ihm; das leise Rattern der Dollen; rechts und links Gondeln, aus denen lachende Mädchenstimmen tönen und weiße, rote, blaue Blusen grüßen; Wasservelozipeds, flinke Einskuller, an denen man doch schnell genug vorüberstreicht…wie nett das alles ist, wie hübsch es sich dabei träumen läßt!

Die berühmten Wasserwirtschaften der Oberspree ziehen vorbei. An den weißgedeckten Tischen wimmelt’s bereits von Liebesleuten, Radfahrern in Pumphosen und Pumphöschen, sparsamen Sommerfrischlern, die sämtlich den Lauf des Bootes mit hohem Interesse verfolgen.

Denn Max und Moritz beginnen jedesmal, wenn ein Restaurant in Sicht kommt, ihren berühmten Paradeschlag, Dann saust der Zweier, obgleich er heute schwer geladen hat, blitzgeschwind über die spiegelglatte Fläche, dann schäumt und spritzt das Wasser unter den Löffeln der Skulls wild auf, und man könnte glauben, eine wirkliche Regattamannschaft vor sich zu haben. Glücklicherweise kühlt sich der tropische Eifer der beiden immer bald wieder ab, und zwar genau im Quadrat der wachsenden Entfernung von dem eben passierten Lokale.

Der Neuling giebt seiner Verwunderung über diese Thatsache bescheidenen Ausdruck.

„Lieber Gott – bei der wahnsinnigen Hitze!“ meint Moritz. „Und wozu auch? Wir könnten ja durchhalten – nicht wahr, Max? – aber wir kommen ja doch noch zeitig genug hin.“ Er schielt dabei den Steuermann an, der jedoch eine direkte Antwort vermeidet und statt dessen etwas von „verfluchter Bummelei“ in seinen schönen Schnurrbart murmelt. Das Intermezzo hat die gute Folge, daß die Ruderer vier oder fünf Minuten lang wieder mit wilder Kraft durchziehen. „Aber laß doch,“ sagt endlich Moritz, der Bugmann, zu Max. „Es ist ja doch keine Hetztour. Wir wollen doch heute keinen Rekord brechen. Bei die Wärme!“


Die elegant gespannte Brücke, die Sonntags Hasselwerder und Wilhelminenhof, unserer Oberspree Tanz-Zentralen, verbindet, während sie an Wochentagen dem volkswirtschaftlich wichtigeren, aber weniger amüsanten Zweck dient, den Arbeitern der großen Elektrizitätswerke den Fährmann zu ersparen, dieser schlanke Eisenbau verschwindet. Rechts steigen Coepenicks Türme – es hat deren nicht eben übermäßig viele – aus der blauen Flut auf.

„Man glaubt gar nicht, daß Einem etwas passieren könnte in solch ,nem Boote,“ meint jetzt behaglich das Kielschwein. Es fühlt das Bedürfnis, dem wohlig-menschenfreundlichen Empfinden Ausdruck zu verleihen, das jeden Faulpelz überkommt, wenn er andere im Schweiße ihres Angesichts für sich arbeiten sieht und selbst, von linder Luft umfächelt, von Gottes warmer Sonne beschienen, ins Blaue hineinträumt. „Vom Ufer sieht’s immer wer weiß wie gefährlich aus – und dabei giebt es nichts Gemütlicheres. A-a-ach!“ Er streckt sich und gähnt, daß das Boot ins Schwanken kommt, und stopft sich dann, gegen alles Reglement, eine Pfeife. Der Steuermann ist ein Mann von Welt und nachsichtig-liebenswürdiger Bonhommie, jedem Neuling gegenüber. Am nächsten Sonntag, wenn der Kerl zum ersten Male die Skulls in die Finger bekommt, soll ihm schon eine andere Melodie gepfiffen werden. Das scheint gerade der Richtige zu sein. Na, heute will man ihn nicht gleich abschrecken.

Max und Moritz räuspern sich.


„’s ist doch so ,ne Geschichte,“ knurrt Max nach einer Weile. „Lassen Sie nur ein bischen Wellengang kommen – hinter der Bammelecke wird’s manchmal böig – da können Sie etwas erleben. Nicht wahr, Moritz, wie vor drei Wochen auf der Müggel“! Sapperment, war das eine Nummer! Zu drei Vierteln vollgeschlagen – so landeten wir in Friedrichshagen!“

„Sie?“ fragt das Kielschwein harmlos.

„Nein, das Boot, natürlich. Ein Gewittersturm, sag‘ ich Ihnen, schon mehr ein Orkan! Und dabei fing’s gerade so schön an, wie heute. Dies übermäßig klare Wetter ist immer verdächtig.“

„Sie glauben, wir bekommen Regen und Wind?“

Max starrt heuchlerisch in das flimmernde Blau hinauf. „Ich möcht’s beeidigen.“

„Wir gehen dann selbstverständlich sofort ans Land?“ erkundigt sich das Kielschwein weiter, denn plötzlich, es weiß gar nicht weshalb, kommt ihm die Situation bedeutend weniger nett vor.

„An’s Land! An’s Land!“ brummt Moritz höhnisch aus dem Hintergrunde.

„Erst können vor Lachen! Weißt Du noch, Max vor drei Wochen auf der Müggel? Als wir 500 Meter vom Ufer waren, blies der Sturm los. Sechsfach gestrichener West, wissen Sie. Der Steuermann wollte umkehren – Prosit Mahlzeit! Wir nahmen im selben Moment einen Kubikmeter Wasser über. Also vorwärts! Grade aus! Unser Leben hing an einem Haar. In jeder Minute hätten wir eigentlich zehn Mal kentern müssen.“

In diesem Tone fährt Moritz, immer lebhafter werdend, fort. Er giebt die ergreifende Schilderung jener grausen Todesfahrt über die Müggel, die jeder bessere Ruderer auf Lager hat und an deren unheimlicher Ausschmückung er bis in’s höchste Greisenalter arbeitet.


„Hören Sie doch auf!“ bittet schließlich das verängstigte Kielschwein.

Der Steuermann sagt kein Wort. Er sieht vor sich einen leeren Personendampfer in voller Fahrt von Grünau herankommen, und hinter ihm liegt gleichfalls ein schnaufendes, aber von Menschen wimmelndes Ungeheuer. Da heißt es, scharf aufpassen und derb zufassen. Jetzt rauscht der Koepenicker Dampfer backbords, der Grünauer steuerbords vorbei. Die Schrauben drehen sich mit rasender Geschwindigkeit, der Schaum sprüht hochauf. Tücher wehen, lustige Zurufe ertönen, ein paar hübsche Mädel winken den Ruderern im schmalen Boote zu.

„Im vorigen Jahre, am Charfreitag, als drei Mann in der Müggel ertranken, war auch ich draußen“, hebt Max wieder an. „Ich sah die armen Jungen noch eine halbe Stunde vorher. Sie aßen Jauersche Würste mit Kartoffelsalat und tranken jeder drei Nordhäuser. Wer konnte ahnen, daß der Tod in so schrecklicher Gestalt auf sie lauerte? Es blies ein strammer Nordwest, wie Grabgesang, und die Wellen gingen schauderhaft -„

„Lassen Sie uns doch in Ruhe mit Ihren Totengeschichten!“ ruft ärgerlich der Neuling. „Diese verdammte Müggel…“

Da springt das Boot hoch auf. Es tanzt Chahut oder Tarantella auf den sich kreuzenden Dampferwellen. Der Neuling klammert sich entsetzt an die Steuerlehne, die Pfeife fällt ihm aus dem Munde, der Kneifer beinahe in die Dahme. Und klatsch – klatsch! geht es. Zwei tüchtige Spritzer kommen leeseits über Bord und durchnässen das Kielschwein nach der Kunst. Es ist ziemlich blaß geworden und bringt keine Silbe hervor.


„Die Taufe!“ sagt Moritz gleichmütig. „Und das waren man bloß zwei lumpige Dampfer!“

„Da müßten Sie mal den richtigen, gediegenen Nordwest am Rahnsdorfer Gemünde erleben!“ bekräftigt Max.

Die Dahme liegt wieder regungslos, von flackerndem Licht überglänzt, die Villen und Gärten am Ufer lachen, und so köstlich schimmert die Ferne. Aber an Bord ist man schweigsam geworden.

Das Schifflein ziehet leise den Strom hin seine Gleise. Hüben und drüben verschönert sich das Landschaftsbild. Der schlichten Silhouette der Müggelberge setzt der Aussichtsturm einen kräftigen Drucker auf. Er kennt seine Bedeutung, weiß, wie zauberisch schön der Blick von seiner Höhe auf die Wälder und Wasser ringsum sein kann. Ob man im Mittag von ihm niederschaut, wenn die kreisrunde Fläche des Müggelsees wie brennendes Silber aufloht, kein Windhauch die Wipfeln der Kiefern bewegt und das breite blaue Band der Dahme sich träge um die Forsten schlingt, gleich als halte Psespolniza, die Mittagsgöttin des Wendenlandes, noch heute das Revier im Bann; ob die Sonne abendlich überm Flusse verglimmt und seltsam beleuchtete Dämpfe aus dem Wald aufsteigen, daß es scheint, der dreiköpfige Triglaff lasse sich seine Rosse vorführen und plane einen wilden Ritt in die heraufziehende Nacht – immer werden hier oben verschollene Sagen lebendig, immer umweht Dich der unvergängliche Spuk der alten Opferstätte… Wir schwimmen an Rohrinseln vorbei, deren jede ihre Geschichte hat. Auf einer verbarg im Franzosenjahre der kluge Fischer Kanis sein junges Eheweib, denn er fürchtete die lockeren Pariser mit Fug und konnte sich nicht denken, was sie in dieser sandigen und armen Gegend anders suchen könnten, als die hübsche Frau des Fischers Kanis… Vom Ufer her, das das Schilf dicht umsäumt, wehen zahllose Bootsflaggen in buntem Durcheinander. Der heiße Tag hat die Mehrzahl der Rudersleute und ihre niedlichen Steuerdämchen zu früher Rast veranlaßt, und da reichliches Unterholz vor allzu neugierigen Blicken schützt, Fußgänger zudem das jenseitige Ufer bevorzugen, so ist man entschlossen, der lauschigen Kühle dieses Schlupfwinkels nicht vor sechs Uhr abends zu entrinnen.

Was richtige Tourenruderer sind, wie Max und Moritz, die lassen sich allerdings das bischen Wärme nicht anfechten. Hat man erst einmal braun gebrannte Arme, hat man erst einmal den üblichen Schweiß der Edlen vergossen, dann thut einem die Sonne nichts mehr, fühlt man sich sogar behaglich in ihrem Gesenge.

Auch das Kielschwein hat diese Empfindung.

Sein Mißmut beginnt allmählich zu weichen, und da es als Kielschwein doch verpflichtet ist, für Naturschönheiten zu schwärmen und seinen romantischen Träumen gebildeten Ausdruck zu verleihen, so beginnt es: „Füllest wieder Busch und Thal hell mit Nebelglanz,“ zu deklamieren. Goethes Gedicht an den Mond mag deplaziert sein in dieser schier betäubenden Fülle von Tageslicht, aber es nimmt sich doch sehr gut aus, und der Steuermann verspürt neben dem Hunger, an dem er immer leidet, ideale und ästhetische Befriedigung. Freilich, ein umfangreiches Rührei wäre ihm augenblicklich doch lieber.

Schmöckwitz, das frühere Fischer-, jetzige Gastwirts- und Sommerwohnungs-Dorf, bespiegelt sich kokett im Seddin. Trotzdem keine noch so leichte Brise seine Flut kräuselt, schwimmen Scharen von Seglern darauf herum, alle mit Vollzeug, anzusehen wie Riesenschwäne der Urzeit, grenzenlos faule Riesenschwäne. Wie gut haben wir Ruderer es doch! Unser Boot flitzt an ihnen vorüber, während sie uns, mißmutig gähnend, aus halb geschlossenen Augen nachstarren. Wir hängen vom Winde nicht ab; wenn er aber da ist, dann wissen wir ihn auszunützen, dann steht im Handumdrehen der Mast da, bauscht sich der Treiber auf und beschleunigt die Fahrt.

Die Krampe bleibt zurück; an so stillem Tage ist ohnehin jedes gemütliche Plätzchen in der prächtigen Dahmebucht von weißbiergefüllten Seglerbäuchen besetzt.

Wir wissen uns eine bessere Stelle. Am Zwiebusch, dem mit stolzen Sandhügeln gekrönten, haust des Sonntags ein Biedermann, der kühles und nicht blos kühles, sondern auch gutes Bier verzapft.

Wundersam liegt es sich dort im Mittagsscheine: der stolze, funkelnde See, dessen stattliche Breite dichter Kiefernwald umgiebt, und auf dessen Wellen, wie große Blumenblätter, kleine, rasch vergängliche Schilfinseln sich schaukeln. Ueber uns ragen, fast bewegungslos, „der deutschen Haide schweigende Cypressen“, und all die Sommersonnenglut, die den Nadelwald duften macht, umhaucht uns mit ihrer üppigen Schwüle. Hier ist gut träumen. Das heißt nach dem Mittagessen.

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Richard Nordhausen unter dem Pseudonym Max Kempff, erschienen im „Berliner Lokal-Anzeiger“ 1901/02 (Hervorhebungen nicht im Original)