Werbung für die ‚Ruderei‘ im Berliner Lokal-Anzeiger von 1901

Um Mitglieder für den Märkischen Ruderverein zu gewinnen, veröffentlichte Richard Nordhausen im Sommer und Herbst 1901 mehrere Artikel im Berliner Lokal-Anzeiger, die auf die Vorzüge der Wanderruderei aufmerksam machen sollten. Er nutzt dabei das Pseudonym Max Kempff. Wir veröffentlichen die Artikel hier nochmal.


Teupitz

Nun sind die langen Abende gekommen und die herbstlichen Tage. Der wilde Wein in den Gärten am Wasser färbt sich rot, und welke Kastanienblätter treiben melancholisch auf der Flut. Das große Sterben hebt wieder an, und das, obgleich der Sommer offiziell erst vor ein paar Tagen seinen Abschied eingereicht hat. Die Natur versinkt in Winterschlaf, und der Rudersport ist viel zu sehr Natur, als daß er den Spaß nicht mitmachen sollte. Dafür haben jetzt die Segler gute Zeit. Denn dies ist das Herrliche an der trübgrauen Jahreszeit mit den regnerischen Tagen und den langen Abenden: sie bringt guten Segelwind.

Da wir auch einige Quadratmeter Zeug in unserem Doppelzweier haben, die sich auf Gros, Fock und Treiber redlich verteilen, so entschloß sich die Mannschaft, noch einmal in aller Eile nach Teupitz zu skullen und dort Erkundigungen über den Stand der Hühnerjagd einzuziehen. Auf dem Hinwege hatte man freilich mit starkem Gegenwind zu rechnen, aber um so fröhlicher würde man durch die Dubrow und das Bindower Fließ heimwärts sausen. Faulheit macht immer fröhlich.

Voraussetzung für das glückliche Gelingen des Planes war nur, daß der Nordost nicht plötzlich und nicht in dem Augenblicke umschlug, wo er uns aus einem verhaßten Plagegeiste zum gehorsamen Zugtiere werden sollte. Der Nordost liebt sich solche Ueberraschungen. Fährt man morgens gegen ihn an und tröstet sich bei seinem rauhen Blasen mit dem Gedanken, daß er Abends zum Entgelte Schleppdienste leisten wird, so ist sicherlich anzunehmen, daß er um die festgesetzte Stunde ganz heimlich auf und davon geht und einem schmeichlerischen West Platz macht. Den geprellten Ruderern erblüht dann die Notwendigkeit, mit hölzernem Wind nach Hause zu trollen.

Mitte September aber, und sonderlich bei solcher Maikühle, ist dem Nordost schon eher zu trauen. Max begann deshalb die Segel zu flicken. Sie glänzen nicht mehr im keuschen Weiß ihrer Jugend, seitdem ein lieber Gast sich die von Oel und Skullschmiere befleckten Hände an ihnen reinigte, mit der sinnigen Begründung, Fett sei durch Wasser doch nicht zu entfernen… Auch hat häufiger Gebrauch hie und da kleine Löcher in das stolze Zeug gebohrt, und die Nähte der einzelnen Bahnen halten nicht mehr völlig dicht. Indeß, zum Erbsensieb ist es doch noch nicht zu gebrauchen, und so erfülle es denn treulich seinen Zweck als Segel weiter…

Teupitz, das Ziel der Reise, steht bei den Berliner Ruderern in hohem Ansehen. Zur Pfingstzeit ist sein Marktplatz ganz weiß von weißen Mützen, und dann kommen die wackeren Einwohner regelmäßig um den gesundesten Schlaf, den vor Mitternacht, wie auch um den angeblich ungesünderen, den zwischen 12 und 5 Uhr morgens. Aber so fremdenfeindlich und in sich gekehrt der echte Teupitzer sonst auch ist, den Ruderern erweist er alle Höflichkeit. Und das Teupitzer Stadtgesetz drückt schmunzelnd ein blaues Auge zu, wenn wir in lauer Frühlingsnacht unter den prächtigen, alten Bäumen des Marktes sitzen und das in Permanenz erklärte allerletzte Glas mit der Absingung des schönen Liedes feiern: „Der Sang ist verschollen, der Wein ist verraucht“.

Um die Schilderung von Teupitz schnell zu Ende zu führen: es hat 600 Einwohner, also noch nicht ganz zwei Millionen, wie das benachbarte Berlin, und es wird dort ein Wein gezogen, der der Sage nach früher sogar mal gekeltert und getrunken worden sein soll. Die geringe Einwohnerzahl des Ortes erklärt sich zwanglos aus dieser Thatsache.

Der Weg nach dem märkischen Weinparadies geht durch die Neumühler Schleuse, die der erste Friedrich Wilhelm, Königs-Wusterhausens zornvoller Freund und Förderer, dem damaligen Müller für eine tüchtige Portion Rührei mit Schinken auf 99 Jahre oder noch längere Zeit verpachtete. Jetzt hat der Staat das Recht abgelöst. Die Schleuserei ist dadurch teurer und unbequemer geworden. Ganz besonders störend macht sich die Bestimmung des grünen Tisches geltend, daß Sonntags zwischen 9 Uhr vormittags und 5 Uhr nachmittags der Betrieb ruhen muß. Das Edikt unterbindet natürlich allen sportlichen Verkehr. Kaiser Wilhelm gilt zwar mit Recht als entschiedener Begünstiger der Ruderei, und in England, dem über die Maßen sonntagsheiligenden, werden Sportboote zu jeder Tagesstunde außerhalb der Kirchzeit geschleust, oder es bestehen Wehre, über die man sein Boot tragen kann. Solche Thatsachen bedeuten jedoch unseren Bureaukraten nichts. Neuemühle ist und bleibt der große Sperriegel. Wir fuhren in der Montagsfrühe durch den Engpaß und gelangten so glücklich ins Freie.

Angenehm war die Witterung eben nicht zu nennen. Offenbar wußte der Himmel nicht recht, ob er ein Gewitter oder einen Landregen niedersenden sollte; so entschied er sich denn für beides. Zernsdorf am Krüpelsee, das gastfreundliche, mit Vater und Mutter Knorr, die den Ruderern hold sind, lag in dichtem Nebeldunst, und selbst der Kirchturm von Cablow hatte zu kämpfen, um sich dem Qualm zu entringen. Hinter Cablow, wo die Dahme alle Lust am Seenbilden verliert und als schmales Fließ zwischen Wiesen dahinschleicht, hinter Cablow beginnt die echte Spreewendei. Bis an den Rand des mageren Kiefernwaldes heran wuchert Schilf und Ried; seltener sind üppige Grasplätze, Kornfelder noch seltener. Der Fluß schlängelt sich in weitem Bogen durchs Revier; da und dort begrenzt Erlengebüsch das Ufer und zeichnet seine Konturen schärfer ab. Und unvermittelt erhebt sich dann ein Fischerdörfchen mit kargen Gärten, dürftigen Obstbäumen und zahllosen Aalkästen. Im Hintergrunde taucht wieder die hungrige Kiefernhaide auf, die einen immer von neuen zu nutzlosem Nachdenken darüber zwingt, wie das darin befindliche königlich preußische Wild es wohl anfängt, sich auf reellem Wege zu ernähren. Und doch sind sogar die Gemeindejagden in dieser Gegend begehrt. In den niederen Wirtshäusern trifft man jetzt häufig waidgerecht ausgerüstete Berliner, die mit schrecklicher Stimme von ihren Abenteuern im grünen Tann erzählen und den Förstern Rache schwören. Besteht doch bei ihnen die fixe Idee, daß die Förster ihnen das Wild vergrämen, das Wild, welches nach meiner festen Ueberzeugung garnicht existiert. Einer, den wir in Gussow begrüßen durften, hatte in richtiger Würdigung der brandenburgischen Nahrungsverhältnisse an der Grenze seines Reviers, da, wo es mit dem königlichen zusammenstößt, Lupinen anfahren lassen und sich dann, von kapitalen Böcken träumend, auf den Anstand gesetzt. Er wähnte, daß die hungrigen Waldbewohner scharenweis heranstürmen, sich blindlings auf die leckeren Lupinen stürzen und ihm so ins Gewehr laufen würden. Der königliche Förster, der seine mühevoll gehegten Schutzbefohlenen und ihren Appetit wohl kennen mochte, hatte nun nichts Eiligeres zu thun, als ruhelos an der Grenze hin- und herzurennen, Wagenladungen von Patronen zu verknallen und so seine heißhungrigen Zöglinge zu verscheuchen. Fluchend lag der Berliner zwei Tage lang auf der Lauer,. Dann verkaufte er die Lupinen zur Hälfte des Selbstkostenpreises…

Für Säugetiere, ganz gleich, ob sie dem Menschen unterthan sind oder frei durch Wald und Haide streifen, ist die Wendei wirklich nicht der geeignete Entfaltungsort. Desto besser gedeihen hier die Fische.

Einer von uns fuhr gelegentlich ohne Steuermann über den Dolgensee. Plötzlich haut ihm jemand eins über den Rücken, daß er zusammenfährt und sich fluchend nach dem Attentäter umdreht. Es war aber kein jemand, es war ein jung Wels, der vor lauter Uebermut Freiübungen in der Luft veranstaltet hatte. Vielleicht paßte ihm auch die bunt zusammengewürfelt Gesellschaft in der Tiefe des Dolgensees nicht mehr. Ein Schlag mit der Paddel machte seiner sozialen Unzufriedenheit ein Ende.

– Berliner Angler können keine besseren Jagdgründe finden als hier. Trotz der gewaltigen Fischwehre bei Dolgenbrodt, mit deren Hilfe man von Zeit zu Zeit die ganze geschuppte Versammlung aufhebt, mindert und erschöpft sich die Fülle nicht. Der ins Wasser versenkte Schatz, von dem jede Großmutter Authentisches zu berichten weiß und der die Phantasie des Fischervölkchens erhitzt, ist wirklich vorhanden. Man fördert ihn mit Netzen zu Tage.

Hinter Dolgensee verändert die Landschaft ihr Gesicht. Nicht mehr grüßt über weite Wiesenflächen fort der Kirchturm des nächsten Dörfleins, Föhrenwaldungen, die dichter ans Ufer treten, schieben sich dazwischen, und die Dahme hört auf, närrische Zickzacklinien durchs Gelände zu ziehen. Sie beginnt wieder ihr Lieblingsspiel und bildet weite Seen, die durch schmale umgrünte Wassergräben verbunden sind. Jetzt wird es ganz stille um uns. Die Dörfer verschwinden, die Wiesengründe schrumpfen ein, knorrige Kienen, prächtige, alte Burschen, halten Hochwacht am Ufer. Tiefe, schier sagenhafte Einsamkeit, Weltferne sondergleichen. Ueber uns ziehen Reiher ihre Kreise, und zuweilen trottet eilfertig durchs dürftige Unterholz ein Rudel Wildschweine. Das ist die Dubrow, des Kaisers Jagdrevier. Von hier wurden früher alljährlich die für die Parforcejagden bestimmten Keiler nach der Saubucht im Grunewald geschafft. Grasbewachsene Höhen hüben und drüben, auf denen schmucke Erlen lustig ihre zierlichen Kronen wiegen; dahinter der ernste, grünschwarze Kiefernwald und unten die schweigende Fluth. O welch ein Platz für sommerliche Träume, die wie leichte weiße Wölkchen durch das unendliche Blau segeln!

Heute greift der Wind etwas fest zu, und über unserem Lagerplatz steht Regen, sogar sehr viel Regen. Er läßt denn auch nicht lange auf sich warten. Aber die Erlen bieten hinreichenden Schutz, und was sie an Feuchtigkeit durchlassen, das fängt der Mantel auf. Versagt schließlich auch der, dann wird eine neue Pfeife angezündet und der uralte Trostspruch hervorgekramt, daß bei gutem Wetter jeder rudern könne.

Erst im Regen entfaltet die Dubrow alle ihre Schönheit, dies graue Licht gehört zu ihrer absonderlichen, märkischen Romantik, und was dergleichen sinnreichende Bemerkungen mehr sind.- Mancher glaubt’s und dankt am Ende dem lieben Gott dafür, daß er ihm bei seiner ersten Dubrowfahrt einen so tüchtigen Guß auf den Kopf gegeben hat.

Ich für meinen Teil ziehe es doch vor, wenn warmer Herbstglanz über diese Gewässer rinnt, bläulich goldener Duft den Frost umzieht und alle Armut und Melancholie der wendischen Niederung in seine köstlichen Schleier hüllt. Gewiß, es hat seine Reize, eine halbe Stunde lang im strömenden Gewitterregen unter der Zugbrücke von Klein-Köris zu liegen und zuzusehen, wie finsteres Gewölk sich immer wuchtiger auf die Eichen und Föhren der Dubrwo senkt. Aber im milden Schein der September-Sonne gemächlich die liebe altbekannte Straße hinaufzugleiten, die über den Hölzernen See und die Schmölde nach Klein-Köris läuft, wo durchaus Halt gemacht, eine Mandel frisch vom Baum gepflückter Pflaumen gegessen und der besseren Verdauung halber Weißbier getrunken werden muß; dann immer abwechselnd flott durch erlenüberwölbte Gräben, langsam durch verkrautete Modder-Seen zu rudern, stets im unwiderstehlichen Zauber dieses ergreifenden Landschaftsbildes, in seiner Schlichtheit, seiner Innigkeit, seinem herben Liebreiz – das ist die reichste Gabe, die unser Sport uns zu bieten vermag. Zuweilen tauchen noch die roten Dächer eines Dorfes auf, aber wie Traumerscheinungen versinken sie wieder. Blühende Erika, blauschimmernde Wellen, weißer Sand und als Rahmen um das Bild die hochwipfelige Haide. Dann die Enge, welche die Görlitzer Eisenbahn übersetzt: Baum an Baum dicht gedrängt; Unterholz, das kaum noch Athem holen kann; ein wildes, brünstiges Wachstum, das in der Tiefe die Fahrstraße überranken, in der Höhe kein Fünkchen Himmelsblau durchs Blattwerk sickern lassen will – eine Pracht, wie sie der berühmte Götakanal kaum auf seiner Glanzstrecke aufweisen kann. Schließlich erweitert sich die Dahme noch einmal behaglich zum See. In dieser Bucht ruht sie aus und das endgiltig. Wenn wir die Schilfinsel umfahren haben, so winken die Türme des Schlosses Teupitz den Wegemüden.

Von diesem letzten See und seinem verrückten Geleucht im Abendschein wage ich nicht zu erzählen. Er ist der bunteste große Edelstein, den es auf Erden giebt. Aber man muß schon Maler sein, um zu sagen und zu beweisen, weshalb.

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Richard Nordhausen unter dem Pseudonym Max Kempff, erschienen im „Berliner Lokal-Anzeiger“ 1901/02 (Hervorhebungen nicht im Original)