Werbung für die ‚Ruderei‘ im Berliner Lokal-Anzeiger von 1901

Um Mitglieder für den Märkischen Ruderverein zu gewinnen, veröffentlichte Richard Nordhausen im Sommer und Herbst 1901 mehrere Artikel im Berliner Lokal-Anzeiger, die auf die Vorzüge der Wanderruderei aufmerksam machen sollten. Er nutzt dabei das Pseudonym Max Kempff. Wir veröffentlichen die Artikel hier nochmal.


Intermezzo

Die Romanschreiber der Biedermeierzeit ließen ihre Helden gern in der Postkutsche beschauliche und weise Unterhaltungen führen. Seitdem die Lokomotive erfunden worden ist, dies erste und vollkommenste Automobil, sind die Fahrdialoge einigermaßen aus der Mode gekommen. Fühlt ein moderner Dichter sich veranlaßt, ausschweifende Gespräche über allerlei Welträtsel und Ewigkeitsprobleme in den Gang der Handlung einzuschieben, so wählt er als Schauplatz dafür lauschige Boudoirs im Sezessionsstil oder gletscherumstarrte Alpen-Schutzhütten. Die Postkutsche hat ausgedient.

Indessen hier und da feiert sie als sogenannter Stellwagen eine fröhliche Auferstehung. Im grünen Gebirge, das noch keine Eisenbahn durchrattert, erleichtert der Stellwagen dem Wanderer das Fortkommen auf den nicht immer reizvollen Chausseen, und während die Beine ruhen, arbeiten die Gedanken um so lebhafter. Und man tauscht sie gern gegen die der Nachbarn aus, immer vorausgesetzt, daß man gerade welche bei sich hat, Gedanken und Nachbarn. Wir fuhren von Cortina d’Ampezzo nach Schluderbach zurück, und freundlich gaben uns Tofana, Monte Cristallo mit seinen erhabenen Zinnen und blauleuchtenden Eisfeldern das Geleit. Jemand meinte begeistert, es gäbe keinen Sport, der auch nur annähernd so stolz und vornehm und gesund wie die Bergsteigerei wäre. Da lächelte aber der stattliche Graukopf an meiner Seite.

„Haben Sie einmal im Vierer gerudert?“

Da war also ein Sportskollege auf der weißen Landstraße zwischen Cortina und Schluderbach! Und wir saßen im Stellwagen, der ernsthafte Männergespräche just so begünstigt wie der abendliche Stammtisch.

Unser Graukopf begann auch sogleich, breit ausladend, von seiner Rudervergangenheit zu erzählen und den Grünlingen rundum die besonderen Vorzüge des Wasserlebens anzupreisen. „Ganz neue Muskeln bekommen Sie, sag‘ ich Ihnen, Muskeln, die Sie früher nie bemerkt haben. Am Oberarm, im Rücken, an den Beinen. Kurz, ein anderer Mensch wird aus Ihnen. Sie fühlen sich körperlich wie neugeboren. Allerlei Beschwerden und Gebrechen verschwinden, die mit der üblen Stubenhockerei zusammenhängen und die ein den Organismus einseitig in Anspruch nehmender Sport nicht entfernen kann. Tiefer, gesunder Schlaf, reger Appetit sind die ersten Folgen -„

„Und erfreulicher Durst“ warf ich ein.

Er nickte bedächtig.

„Sämtliche Leibesfunktionen werden geregelt, der ganze Kerl wohlthätig revolutioniert. Der Umstand, daß die Ruderei sozusagen jeden Nerv und jeden Muskel in Anspruch nimmt, das ist ihr Bedeutsames, Unerreichtes. Das macht ihr kein anderer Sport nach. Sie glauben nicht, wie ich in dem Bergnest, wohin ich seit zehn oder elf Jahren versetzt worden bin, dies geliebte Vergnügen entbehre. Nur im Traum kann ich’s noch ausüben – und wahrhaftig, das sind immer Träume, die mich dann den ganzen Tag über erquicken.“

Ich fragte ihn, auf welchem Wasser er früher gelegen habe.

Auf der Drau. Die Strömung dort war allerdings so reißend, daß man im Vierer bestenfalls vier Kilometer stündlich gemacht habe. Aber dann die Rückfahrt! Wozu bei der Bergfahrt fünf Stunden gebraucht wurden, dazu bedurfte es thalwärts keiner drei Viertelstunden. Die Riemen platt auf der grüngelben Flut, so schoß das Boot zwischen den prächtigen Ufern dahin. Freilich, der Steuermann hatte alle Ursache, scharf aufzupassen; sonderlich die Brückenpfeiler und die jähen Krümmungen des Flusses, bei denen es ohne wilde Winkel und Rücksteuerung nicht abging, verlangten feste Hand und scharfes Auge von ihm.

„Wie die Dinge lagen, fanden sich bei uns selbstverständlich immer nur verhältnismäßig wenige Ruderfreunde,“ fuhr der Nachbar fort. „Den meisten waren diese Touren doch zu anstrengend und gefahrvoll. Ueber achtzig Mitglieder hat es unser Club nie gebracht.“

Ich meinte, das wäre schon eine ganz hübsche Ziffer.

„Lächerlich!“ Er wurde ordentlich unwirsch. „Die ganze Jugend der Stadt, die noch nicht völlig gealterten Männer dazu sollten Sonntags im Boote sitzen! Es giebt keinen zuverlässigeren Lebensverlängerer, keine bessere Heilmethode für alle möglichen Leiden als die Ruderei. Und ich bin überzeugt, in Reichsdeutschland, wo Sie die wunderbaren, breiten Flachlandströme haben, zählen Ihre Sportskollegen nach Hunderttausenden.“

Der Graukopf hatte wohl Grund zu solchen Schätzungen.

In Klagenfurt, der lieblichen Hauptstadt Kärntens, mit seinen 20 000 Einwohnern, bestehen drei Rudervereine, deren größter über zweihundert Mitglieder besitzt. Wäre in Berlin, wo die Verhältnisse doch ungleich günstiger liegen, besonders für die Wanderruderei, wäre in Berlin auch nur dasselbe Interesse am Wassersport rege, so brächte die Zwei-Millionenstadt sicherlich Sonntag für Sonntag an die 40 000 Ruderer auf die Beine.

Statt dessen aber betreiben etwa 2500 Mann unsern Edelsport, und auch davon steigt weitaus der größere Teil nur hin und wieder, mit wochenlangen Unterbrechungen, ins Boot. Das sind beschämende Ziffern. Der alte Drau-Ruderer vermochte sich nicht mit ihnen abzufinden.

„Eine Schande!“ rief er. „Wahrhaftig, eine Schande! Ich kenne doch Berlin, ich weiß doch, wie Sie vor allen anderen Städten gesegnet sind mit wunderbaren Wasserflächen; wie, wenn irgendwo, bei Ihnen alle Vorbedingungen für die Blüte der Sportruderei gegeben sind. Und nun kommen Sie mir mit einer solchen jämmerlichen Statistik!“


Ich erwiderte ein bischen bedrückt, daß es an Gründen und Entschuldigungen für die Fernbleibenden nicht fehle. Einmal, und das sei die Hauptsache, stehe die Ruderei im Rufe, viel Geld zu kosten, durchaus ein Vergnügen für Wohlhabende zu sein. In den Berliner Ruderklubs, die einen geachteten Namen haben und wegen ihrer tüchtigen Leistungen bekannt seien, erhebe man sehr hohe Eintrittsgebühren und Monatsbeiträge, ganz abgesehen von den außergewöhnlichen Umlagen und Geldopfern, die bei allen möglichen Gelegenheiten verlangt werden. Man arbeitet eben mit zu gewaltigen Kosten. Vornehmlich die Beteiligung an den Regatten verschlingt große Summen und belastet die Gesamtheit wie den Einzelnen schwer.

„Niemand wird etwas gegen die Regatten haben,“ entgegnete der von der Drau. „Aber sie dürfen doch die Hauptsache, die Wanderruderei, nicht hemmen oder gar völlig unmöglich machen.“

„Weil nun die bestehenden Vereine in pekuniärer Beziehung beträchtliche Anforderungen an ihre Mitglieder stellen, so überkommt die Herren sehr bald ein gewisses stolzes Bewußtsein der Exklusivität,“ erklärte ich weiter. „Sie halten sich für besser als Hinz und Kunz, die auch für ihr Leben gern rudern möchten, bei denen es aber mit dem kleinen Geld dann und wann hapert. Und so wachsen denn die Gegensätze.

Es giebt da Bestimmungen und Gepflogenheiten, die aus sozialer Verständnislosigkeit hervorgegangen sind, immerhin den herrschenden Geist trefflich spiegeln: Niemand darf beispielsweise an der offiziellen Berliner Regatta teilnehmen, der sich durch seiner Hände Arbeit ernährt. Ich bitte Sie – eine solche Regel im 20. Jahrhundert und elf Jahre, nachdem Kaiser Wilhelm, der Schutzherr und unermüdliche Förderer unseres Sports, ausdrücklich betont hat, die Arbeiter seien ebenso vollwertige Bürger und ihm ebenso lieb wie alle anderen!

Kein Wunder, daß derartige Unklugheiten oder Gedankenlosigkeiten Haß und Hader erwecken, die Politik in den unpolitischen Sport tragen und die Gründung sozialdemokratischer Rudervereine bewirkt haben. Kein Wunder, daß in manchen Kreisen sogar die Tourenruderei, auf der sich ja freilich beim besten Willen nicht allzu viel Geld ausgeben läßt, scheel und mit gerümpfter Nase angeblickt wird. Die Tourenruderei, in der doch alle Schönheit, aller Frohsinn, aller gesundheitliche Nutzen unseres Sports gipfelt!“

„Wenn’s nur richtig angefaßt wird – ich glaube, daß die Dinge sich bessern lassen.“

„Zweifellos. In Tausenden von wackeren Berliner Jungen ist die Lust und die Sehnsucht nach dem Wasser rege. Ihnen braucht man nur die Hand entgegenzustrecken, und sie werden kommen. Wer aber einmal bei der Ruderei war, den läßt sie nicht mehr los! Das haben Sie an sich selbst erfahren. Zu überwinden sind eben nur zwei Schwierigkeiten.

Die Unkosten für den Einzelnen müssen in vernünftigen Grenzen bleiben und sich seinem finanziellen Vermögen anpassen. Gleichzeitig muß mit dem Vorurteil gebrochen werden, daß die Ruderei nicht ebenso volkstümlich wie z. B. das Radfahren sei, dem doch bei weitem nicht ihre Vorzüge eignen und das, verstehen Sie mich recht, bedeutend teurer ist.“

„Es wäre also nur nötig, daß bei Ihnen ein paar entschlossene, thatkräftige und volksfreundliche Männer die Sache in die Hand nähmen? Nun, das sollten Sie thun. Sie verdienten sich Gottes Lohn damit. Wissen Sie, wie wir unseren Ruderklub zu Stande brachten? Wir sammelten im Freundeskreis, feierten Feste und thaten die Ueberschüsse in die Sparbüchse, bis endlich ein Fonds vorhanden war. Dann haben wir gebaut, und es ging gut voran.“

„Solche Männer werden sich auch bei uns finden, hoffe ich. Es muß möglich sein, ein kleines Kapital zusammenzubringen und mit seiner Hilfe, sowie aus bescheidenen Mitgliedsbeiträgen – etwa drei Mark monatlich – die Grundlage für eine ausgedehnte Berliner Wanderruderei zu schaffen. Eine burschikose, jugendfrische Wanderruderei, die ihren Zweck in sich selbst findet.

Wir dürfen den Schatz, den uns die Natur vor die Thore der Hauptstadt gelegt hat, nicht länger unbeachtet und unbenutzt lassen. Handelt es sich doch nicht allein um eine Frage sportlichen Vergnügens, sondern auch der Volksgesundheit, sogar im übertragenen Sinne. Wer seine Sommersonntage unter Gottes blauem Himmel verbringt, in stählender, alle Mannestugenden weckender Thätigkeit, wer hier Körper und Geist für die Last der Woche auffrischt, der ist ein Einser mehr bei der Zählung unseres Nationalreichtums. Noch in seinem Vergnügen dient er sich und der Gesamtheit.“

Die stolzen, roten Wände der Hohen Gaiß stiegen auf, Schluderbach war erreicht, und unsere Wege trennten sich. „Ich komme übers Jahr wohl nach Berlin“, sagte der rüstige Graue beim Abschied. „Statt der zweitausend Ruderer hoffe ich dann mindestens viertausend zu sehen, und keine Havelbucht, keinen blauen See im Spreegebiet ohne braune Wanderruderer!“

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Richard Nordhausen unter dem Pseudonym Max Kempff, erschienen im „Berliner Lokal-Anzeiger“ 1901/02 (Hervorhebungen nicht im Original)