Werbung für die ‚Ruderei‘ im Berliner Lokal-Anzeiger von 1901

Um Mitglieder für den Märkischen Ruderverein zu gewinnen, veröffentlichte Richard Nordhausen im Sommer und Herbst 1901 mehrere Artikel im Berliner Lokal-Anzeiger, die auf die Vorzüge der Wanderruderei aufmerksam machen sollten. Er nutzt dabei das Pseudonym Max Kempff. Wir veröffentlichen die Artikel hier nochmal.


Im Boote durch die Mark

Zwischen Kiefern flach ausgegossene Seen, deren Bild jeder Wolkenschatten, jede Tagesstunde verändert, die jetzt sanft amethysten leuchten wie der Schauplatz eines freundlichen Idylls, dann in wilden Farben aufflackern, prunkvollem Liebesliede gleich, und plötzlich fahl und tückisch glimmen, gleich als lägen die Wasser auf der Lauer und heischten das Opfer, das ihnen die Sage alljährlich zubilligt … Flußläufe, manchmal so eng, daß es geschickter Steuerung bedarf, um unser Boot hindurch zu bringen – und unvermutet erweitern sie sich zu mächtigen kilometerweiten Buchten. So geht das Spiel stundenlang ins ständigem Wechsel … Hier mit Fabriken und Schornsteinen dicht besetzte Ufer, Feuer sprühen, Hämmer pochen; auf dem Wasser selbst ein ruheloses Gehen und Kommen, ein unabsehbares Gewühl von Fahrzeugen.

Und zwei Meilen weiter hinauf ruderst Du durch Einsamkeiten, die noch kein Mensch vor Dir erblickt zu haben scheint. Rechts und links ragt Hochwald, dessen Vorposten, Erlen und Birken, des Nachts sicher mit verwunschenen Prinzessinnen Zwiesprach halten. Ringsum kein Laut als der Schlag Deiner Skulls.

Höchstens, daß am feierlichen Sonntagmorgen von einem Dorf, das Du nicht siehst, verwehter Klang der Kirchenglocken herüber hallt. Eine Tempelstille, als sei man allein auf fernem Planeten … Zuweilen gleitet das Boot an dunklen Jagdrevieren vorbei, Reiher kreisen über Dir, herrliches Rehwild tritt vorsichtig auf die Waldwiese hinaus – wenn Dir der Zufall wohl will, dann kannst Du den kaiserlichen Waidmann grüßen. Sonst freilich sind Fischersleute die einzigen Menschen, denen Du begegnest. So ruderst Du im Abendscheine, der ein unerhört buntes Feuerwerk auf der spiegelglatten Flut abbrennt, durch Schilf und Röhricht, endlich ein verkrautetes, grünes Fließ hinauf, das von er Wiese, die es umschleicht, nicht mehr zu unterscheiden ist. Leidenschaftliches, schier tropisches Wachstum begleitet Dich; seltsam geformte Wasserpflanzen mit übertrieben großen, phantastischen Blättern schließen sich zu einer Fabelwildnis zusammen, und allerlei schillerndes, geflügeltes Gewürm schwirrt durch die wasserdampfgetränkte Luft. Nun wundert es Dich nicht mehr, wenn Du zuletzt in ein Rinnsal gelangst, das vor zehntausend und mehr Jahren ein Fluß, so breit wie heute die Havel, war. Zu beiden Seiten ragen die alten Ufer, jetzt mit Kienen und Unterholz bestanden, auf; ganz deutlich erkennt man das majestätische alte Bett. Schauer der Vorwelt wehen Dich an, nun die warme Nacht herniedersinkt und die Träume erwachen …

Das Märchen von der häßlichen Umgebung Berlins ist lange schon zerstört. Mit jedem Jahre mehrt sich die Zahl der treuen Freunde dieser schlichten Landschaft von melancholischer Anmut, und vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, wo sich der Geschmack von den Allerweltsschönheiten, den Knalleffekten der Natur abgewendet und diesen herben, stillen Reizen nachgeht.

Unsere jungen Maler haben ihm bereits den Pfad gewiesen. Freilich, ohne ihre Flüsse und Seen, ohne ihren einzig artigen Wasserreichtum wäre die Mark wirklich die Streusandbüchse, als die sie draußen ganz zu Unrecht verrufen ist. Das freundliche Element spendet ihr Leben und Poesie. „Wasser, Sand und Haide sind des Märkers Freude; Wasser, Haide, Sand sind sein Vaterland!“ Immerhin, so launische Flüsse wie Havel und Spree findet man nirgendwo im Reiche wieder, und nirgendwo so liebliche, blaue Augen wie unsere Seen. Baedeker hat sich neuerdings entschlossen, die Umgegend von Potsdam und etliche andere Berliner Ausflugsziele mit einem Sternchen zu schmücken. Riete er denen, die auf seine schätzenswerte Autorität hin ihre Reisepläne aufbauen, einen Besuch der märkischen Gewässer an, dann machte er langjähriges Unrecht noch ausgiebiger gut. In Wahrheit: auf unsere Freienwalde, unser Buckow und unseren Blumenthal dürfen wir uns, so lieblich sie sind, doch nicht übermäßig viel einbilden. Sie kommen nicht recht auf gegen die auswärtige Konkurrenz. Die eigentümliche Schönheit unserer Wasserlandschaften dagegen sucht man draußen vergebens. Leider wird sie von uns selber so wenig gewürdigt, daß wir von zunächst Unbeteiligten und Fremden nicht verlangen dürfen, ihr Höflichkeit und Ehre zu erweisen. Leider steckt der Berliner Wassersport, so ideale Lebensbedingungen er findet, immer noch in den Kinderschuhen. Auch der Umstand, daß unser Kaiser ihn fördert, wo er es nur immer vermag und ihm bei jedem Anlaß offensichtliche Zeichen seiner Gunst giebt, hat einstweilen wenig genutzt. Etwa 2500 Ruderer mit 800 Booten zählt Berlin – die Segler kommen dabei nicht in Betracht, weil sie gebundener sind und in die Winkel der Mark nicht eindringen können. Wie viel Radfahrer giebt es dagegen?

Ein gutes Rad hat ungefähr denselben Preis wie ein trefflich durchgearbeiteter Einer mit Steuer, und wer den Radsport so intim wie den Rudersport kennt, zögert keinen Augenblick mit der Antwort bei der Frage, welchem er den Vorzug gebe. Trotzdem übertrifft die Zahl der Radfahrer die der Ruderer um das Dreißig-, wenn nicht Fünfzigfache. Wer den Rudersport einmal erwählt hat, der bleibt ihm treu.

Ist es doch der vornehmste, der freieste, der gesundeste und abwechslungsreichste. Auch wir haben unsere Regatta – und wahrlich, kein anderer Sport stellt an die moralische und physische Kraft seiner Jünger so hohe Ansprüche wie die Ruderei. Das Training legt Entbehrungen auf, erheischt eine Fähigkeit der Selbstverleugnung und einen Opfermut, den nur die Elite unserer Jugend aufzuweisen vermag. Daß ein Ruderer am Regattatage nach wüst verbrauster Nacht ins Rennboot steigt, das ist eine ebenso lächerliche und unmögliche Vorstellung, wie sie, zum Exempel ins Radtechnische übertragen, leider Gottes weder lächerlich noch unmöglich ist. Bei unseren Rennen giebt es keine Geld- oder geldwerten Preise. Allein um der Ehre des Sieges willen nimmt man freudig alle die Lasten auf sich. Ein Eichenkranz, ein bescheidenes, kleines Silberschildchen, ein Wanderpreis, den dauernd zu erringen bei den starken und kampflustigen Mitbewerbern fast nie gelingt – das ist der Lohn für wochenlange, unausgesetzte Anstrengungen und beträchtliche Geldopfer. Daß bei unseren Regatten jene häßlichen Betrügereien und Foppereien des Publikums, auf die man anderwärts wohl stößt, und die den Wettkampf von vornherein zur Komödie machen, ganz ausgeschlossen sind, sei nur nebenher erwähnt. Jeder Ruderer ist Herrenfahrer und benimmt sich als solcher.

In gesundheitlicher Beziehung steht der Rudersport gleichfalls an der Spitze. Den ganzen Tag über umweht uns reine, staubfreie Wasserluft, und das kunstgemäß betriebene Skullen oder Riemen nimmt jeden Muskel, jeden Nerv und jedes Glied des Körpers, vom Hals bis zu den Zehen, in Anspruch. Hier arbeiten nicht einseitig einzelne Körperteile, während andere Teile ruhen oder doch kaum merkbar beansprucht werden; hier sind Arme und Beine in gleich angespannter Weise thätig: die einzelnen erzeugen, die anderen übertragen die bewegende Kraft. Und es ist, weiß Gott, eine energische Thätigkeit. Man sagt mit Recht, daß eine Ruderstunde fünf Fecht- und fünfzehn Turnstunden ersetze.

Just Schreibtisch-Menschen und notgedrungene Stubenhocker sollten wenigstens Sonntags die Skulls in die Hand nehmen. Die Ruderei revolutioniert den Organismus in unsagbar wohlthuender Weise, regelt dann überraschend seine Funktionen, schärft den Appetit zum Heißhunger und spendet so tiefen, traumlosen Schlaf, wie ihn der nervöse Großstädter kaum noch kennt.

Es ist mehr als eine bloße Wirkung der sonnendurchglühten Wasserluft, daß der Ruderer abends nach vollbrachter Fahrt rotbraun gebrannt heimkehrt, als sei er sechs Wochen im Gebirge oder an der See gewesen. Dieser überraschende Erfolg ist nicht nur äußerlich; Rudern heißt reisen, und zwar sportsgemäß reisen in der Zeit, da man der Ferientage noch wartet und wochentags zu Hause bleiben muß.

Welch ein wohlfeiles und bequemes Vergnügen verdient es daneben genannt zu werden! Der Ruderer ist so wenig wie der Radfahrer auf die Eisenbahn angewiesen, und weniger noch als er, denn sein Vehikel entbehrt der komplizierten Mechanismen, der leicht verletzbaren Teile.

Zu besonders großen Geldausgaben bietet sich keine Gelegenheit, zum mindesten dem Wanderruderer nicht. Und im Sommer, wenn die köstlichen Lagerfahrten beginnen, hält es überhaupt schwer, seinen Mammon anders als für leicht erfrischende Getränke – die große Weiße spielt dabei die Hauptrolle – auszugeben.

Da kocht an einsamer Waldesecke die ganze Gemeinschaft ab, und weil man Wege wählt, die kein anderer betreten kann, so erreicht man auch Rastplätze, die nur dem Wassersportmann zugängig sind. Die Krone der Wanderruderei aber sind die mehrtägigen Ausflüge, die man mit sich immer steigerndem Genuß, mit allmorgendlich neuer Freude freilich nur in der Mark unternehmen kann. Die Bereicherung an Gesundheit, Lebenskraft und Erfahrung, die sie verschwenderisch spenden, läßt sich nicht in zwei Sätzen schildern und dankbar preisen. Ich wills aber in den folgenden Skizzen versuchen.

Möchten sie wie eine Fanfare sein und wie ein unwiderstehliches Locken! Möchten sie Tausenden die Augen öffnen und ihnen die Schätze zeigen, die das Wasser der Mark birgt, Schätze, die wir jeden Tag heben können, und die köstlicher sind als versunkene Kronen und Silberbarren! Die Flut bildet und erhält Männer; die Sage vom Jungbrunnen ist gewißlich wahr. Warum zögern wir, hineinzusteigen?

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Richard Nordhausen unter dem Pseudonym Max Kempff, erschienen im „Berliner Lokal-Anzeiger“ 1901/02 (Hervorhebungen nicht im Original)