Werbung für die ‚Ruderei‘ im Berliner Lokal-Anzeiger von 1901

Um Mitglieder für den Märkischen Ruderverein zu gewinnen, veröffentlichte Richard Nordhausen im Sommer und Herbst 1901 mehrere Artikel im Berliner Lokal-Anzeiger, die auf die Vorzüge der Wanderruderei aufmerksam machen sollten. Er nutzt dabei das Pseudonym Max Kempff. Wir veröffentlichen die Artikel hier nochmal.


Die Löcknitz

Es mag wohl zehntausend Jahre her sein. Damals wälzten sich Riesenströme nach Art des Mississippi und des Kongo durchs brandenburgische Land, besser gesagt, durch brandenburgischen Sand. Meilenbreit dehnte sich ihr Bett, und wie kleine Meere waren die Seen, die sie damals bildeten. Rechter Hand, linker Hand, alles war vertauscht; die Spree floß im heutigen Oderthale, und die Havel machte sich mit der Elbe gemein. Unter der Nachwirkung der Gletscherzeit, die im Rüdersdorfer Kalk so prächtige Schliffe hinterlassen hat, strebte alles Wasser ins Grenzenlose, Ungeheure. Kleine Rinnsale, die wir heute beachten, hätten damals große Dampfer und schwer beladene Schleppzüge tragen können; die mächtigen Havelseen, die Müggel, dieser unser Stolz – damals hatten sie just normale Strombreite – weiter nichts. Wenig ist übrig geblieben von der wilden Herrlichkeit der märkischen Vereisung. Immer gesitteter und bescheidener werden die alten Flußgötter. Als Kurfürst Joachim von Kaspar Theyß sein Jagdschloß im Grunewald aufmauern ließ, wurden die Steine dazu urkundlich auf dem Wasserwege von Berlin nach der Baustätte geschafft. Seitdem sind kaum fünfhundert Jahre vergangen, wo aber ist der Wasserweg geblieben? Halensee, Hundekehlensee, Grunewaldsee und so fort bis zum Schlachtensee – kleine Tümpel zeugen von verschollener Herrlichkeit. Zwischen ihnen stellt nicht mehr muntere, blitzende Fluth, sondern ödes Fenn die Verbindung her. Und wie die Feldsteine, die reichlich genug auf märkischer Flur ausgestreut sind, von den Meeren und Gletschern der Vorzeit erzählen, den himmelhohen Eisbergen, in deren Bauch sie einst aus dem skandinavischen Norden nach Quaden-Germendorf, Prötzel, Zauche bei Belzig und anderen netten Ortschaften gewandert sind, so geben uns märkische Bächlein und Teiche oft genug Kunde von gigantischen Erschütterungen und Umwälzungen, deren Schauplatz unsere Heimaterde war. Steine können reden, und das Wasser, das sacht und träumerisch zwischen ernsten Kiefern hinrinnt, läßt den aufmerksamen Lauscher in die geheime Werkstatt der Jahrtausende blicken.

Keines jedoch spricht eindringlicher zu uns als die kleine Löcknitz. Wäre sie auch minder anmutig in der schlangengleichen Gewundenheit ihres Laufes, begleiteten auch nicht waldgekrönte Hügel, saftiggrüne Waldwiesen und malerische Fischerdörfer das fröhliche Geschöpf – ich ruderte doch immer wieder mein Boot zu ihr hinaus.

Denn die Löcknitz ist eine echte verwunschene Prinzessin. Sie renommiert nicht damit und thut sich nicht sonderlich groß mit ihrer königlichen Vergangenheit, aber Du merkst doch auf Schritt und Tritt, daß Du es mit einer Kronenträgerin zu thun hast.

Unverkennbar treten zu beiden Seiten des Flüßchens die alten Ufer, die „Terrassen“ des Gletscherstromthales, hervor. Sanft abgedacht sinken die Hügel dem Wasserspiegel entgegen. Heute wurzeln zwar knorrige Kienen in ihrem Boden, üppiges Laubgebüsch und hohes Gras bedeckt sie – und doch, käme eine zweite Sintflut, die Löcknitz wäre erzbereit, sie zu empfangen und zwischen ihren Uferbergen dem Flakensee zuzuleiten. Kaum ein Tröpflein ginge verloren. Wie anders nimmt sich, hängt man solchen Gedanken nach, der schmale schwarze Wasserlauf aus!

Werden und Vergehen liegen in der Hand des Unerschaffenen; rastlos formt sich Irdisches um, Großes wird klein, Kleines groß; aber die urewige Schönheit bleibt, und urewige Schönheit webt immer von neuem das Kleid der Natur…

Dem Ruderer steht nur ein Stück von der Löcknitz offen. Er hat nie ihre Quelle gesehen – sie fließt aus dem Maxsee – niemals hat er das unverfälscht märkische Nest Kienbaum gegrüßt, von dem so tolle Wilderersachen umgehen. Selbst bei den Fischerdörfern Gottesbrück und Bergluch (welch‘ hübsche Namen hier die Ortschaften führen!) ist die Löcknitz für ein Skullboot noch nicht befahrbar. Den ganzen Weg über tändelt sie an Wald und Wiesen vorbei, durch schweigende, blühende Einsamkeit, und immer ist sie so verkrautet, daß niemand ihren Frieden mit Ruderschlägen stört. Muß das ein Revier für den altbrandenburgischen Edelkrebs gewesen sein! Thatsächlich berichtet uns der biedere Beckmann auch von einem ehemaligen Krebsreichtum der Löcknitz, der jedem Feinschmecker den Moselwein im Munde zusammenlaufen machen muß. In heißen Sommern, so meldet sein Buch, wenn die Löcknitz zu beträchtlich einschrumpfte und den vornehmen Krustentieren keine Kühlung mehr bot, krochen sie zu Millionen in das schützende Laubdach des Erlengebüsches am Ufer und konnten so von den Bäumen geerntet werden. Die Knechte und Mägde der Gegend bedingten es sich, ehe sie den Dienst eingingen, aus, nicht öfter als drei Mal wöchentlich Krebssalat vorgesetzt zu bekommen. Der Krebs war das eigentliche Nutztier dieser Bezirke. Menschlicher Undank mag ihn verscheucht haben: Wenn heute die Hausfrauen ihren Mägden drei mal in der Woche Krebsscheeren vorsetzten, dann wäre es die erste Amtshandlung des erbitterten Ehegemahls, ihr das Wochengeld um fünfzig vom Hundert zu verkürzen…

Gleich hinter Erkner, wo sich der Flakensee öffnet, überrascht uns eines der lieblichsten Bilder märkischer Wasserlandschaft. Hochwald umsteht zierlich das Seebecken, drüben beschauen sich die weißen Häuser der Woltersdorfer Schleuse in der tiefblauen Flut, und hinter ihnen steigen die grünen Kranichsberge mit ihrem Aussichtsturm auf. Das alles ist von unbeschreiblicher Grazie, ein wirkliches Kabinettstückchen in der Zeichnung wie in der feinen und doch frohen Farbenstimmung. Dem Ruderer verspricht diese erste Augenweide noch andere und entzückendere. Das Boot zieht gemächlich die Löcknitz hinauf, die hier zwischen Molen in den See einfließt. Backbords schlanker Kiefernwald, den hohes Wachholdergebüsch mit dunklem Grün belebt; steuerbords weite Wiesenfläche, aus denen Erkners Häuser und Villen aufsteigen.

In jähen, launischen Windungen zieht der Fluß, der hier schiffbar gemacht worden ist und massige Zillen trägt, um die Wiesengründe herum; keinen Augenblick lang darf der Steuermann pflichtvergessen in das bunte Blumengewimmel starren. Wir säßen sonst unbarmherzig fest.

Läßt sich vor uns Ruderschlag hören, – oft genug sehen wir auch die weißen Tricots der sich Nähernden, laufen einzelne Krümmungen der Löcknitz einander parallel, so daß man glaubt, den noch zehn Minuten Entfernten über eine Wiese hinweg die Hand reichen zu können – kommt ein anderes Boot oder eine Zille in Sicht, so werden rasch ein paar Extraschläge gemacht und dann die „Skulls lang“ genommen. Grüßend gleiten wir, Bord an Bord, den Fremden vorbei. Nun tritt rechts und links die Kiefer dicht an den Fluß heran, umschließt ihn, daß er wie ein Waldsee ausschaut. Die alten Ufer heben sich stolz empor, und wenn sie auch nur Sandberge sind, ihr grüner Schmuck adelt sie und giebt ihnen ein ganz romantisches Gepräge. Hier kann die Löcknitz es getrost mit dem Spreewalde aufnehmen, nur daß dem Spreewald die eigentümliche Schönheit der erhöhten Ufer fehlt.

So sonntagsstill der Wald, es brennt die Luft
Müd ihr Geäst die Erlenkronen breiten;
Das Wasser blüht, und seltsam schwüler Duft
Dampft durch die goldengrünen Einsamkeiten.


Kiefernwipfel und Laubwerk vereinigen sich, scheint es, überm Flusse zu grüner Kuppel; leise, kaum vernehmbar stößt das Wasser gegen allerlei Wurzelwerk aus alten Tagen, das noch immer nicht verwesen will. Kein lieblicherer Lagerplatz weit und breit. Wenn ein Ruderer sich ernsthaft mit Verlobungsgedanken trägt, dann führt er seinen Schatz sicherlich hierher, wo ein Geständnis so leicht ist…

Abendstunde. Die Sonne hat sich vorhin hinter regendrohendem, blaugrauem Gewölk verkriechen müssen. Nun aber ist es ihr gelungen, die Barre zu zersprengen, und nun gießt sie, Verschwenderin, die sie ist, aus rotgoldenen Schalen brennend bunte Farben auf Wald und Wasser aus. Farben, wie man sie erhalten mag, wenn Silber und Edelsteine im Schmelzofen zusammen geschweißt werden.

Dies Wolken-Geglühe, das noch einmal von innen heraus mit überirdischen Flammen durchleuchtet wird… Plötzlich flackern die rötlichen Stämme der Kiefern in purpurnem, loderndem Feuer auf. Der ganze Wald eine Feuersbrunst, überall dies infernale, schreckliche, berauschende Rot. Und nur die märkische Kiefer läßt sich so vom Abendlicht illuminieren.

Nun liegt Nacht auf dem schwarzen Wasser. Durchs Gerank der Aeste fällt fahler Schein, der die dunkle Flut spukhaft beglänzt; in seinem bleichen Schimmer spiegeln sich verzerrt die Kiefern. Jetzt erwacht, was lange schon gestorben ist: Träume und Märchen von vergangener Zeit. So sanft streicht das Ruder durch die weiche, stille Finsternis der Wasser – es will den Zauber nicht stören, der die Prinzessin Löcknitz wieder in ihr altes Reich führt…

Zu meinen Füßen schillert, während ich dies schreibe, smaragden die Fläche des Wörthersees, gewaltig überragt von den silbergrauen Karawanken, umkränzt von Bergwald und Villen und Lebensprunk. Wie kommt es, daß mir im Angesicht dieser strahlenden Tagesschönheit das Bild des schlichten Flußlaufs im märkischen Sande nicht aus dem Gedächtnis will? Warum beneide ich in dieser Stunde die Genossen, die jetzt auf Fangschleuse zurudern und dem hübschen, allweil vergnügten Wirtstöchterlein ihre Reverenz machen dürfen? Warum bedauere ich gerade jetzt die so lebhaft, die von den Freuden der Ruderei noch immer ausgeschlossen sind? – Am Wörthersee läßt sich’s, bei 23° R Wassertemperatur, gut darüber nachsinnen, warum in Berlin unter soviel günstigerem Sterne doch so wenig zum Ruder gegriffen wird.

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Richard Nordhausen unter dem Pseudonym Max Kempff, erschienen im „Berliner Lokal-Anzeiger“ 1901/02 (Hervorhebungen nicht im Original)